Die vier Seiten des Wandels

Paul.Bayer am 20. September 2010 um 19:10

Wir Menschen verfolgen im Leben Absichten und ändern unser Denken und Handeln dann, wenn wir gute Gründe dafür haben – gewichtiger als diejenigen, die für den Status quo sprechen. Menschen beurteilen Wandel auf Basis ihrer Erwartungen. Dabei sind vier Aspekte maßgeblich: zu erwartende …

  • Vorteile durch die Veränderung,
  • Nachteile (Risiken) der Veränderung,
  • Vorteile, wenn alles unverändert bleibt,
  • Nachteile (Risiken), wenn alles unverändert bleibt.

Der folgende Sketch [1] stellt diese vier Seiten dar:

Gestaltung des Wandels

Bei Veränderungen in Organisationen werden nur selten alle vier Seiten berück­sichtigt. Diejenigen, die eine Veränderung vorschlagen, stellen meist nur einen Aspekt heraus, z.B. den möglichen Gewinn oder das drohende Unheil. In der folgenden Diskussion werden dann die anderen Aspekte als Einwände vorge­bracht. Hitzige Konflikte und Missverständnisse sind die Folge.

Gestaltung von Veränderung bedeutet, die Erwartungen der Beteiligten an die Veränderung zu gestalten. Bekanntlich bilden sich erste Einschätzungen und Erwartungen sehr schnell, quasi „auf den ersten Blick“. Wäre es also nicht viel besser, von vornherein alle vier Fragen zu berücksichtigen?

Weil die meisten Menschen Stabilität und Sicherheit suchen, überwiegen anfangs die Einwände gegen die Veränderung: Ängste vor möglichen Nachteilen und vor Verlusten der Vorteile des Status quo [2].

Vorteile und Nachteile von Veränderung

Wenn es gelingt, die Hindernisse und Einwände gegen die Veränderung von vornherein zu verringern und die Vorteile und positiven Erwartungen an die Veränderung zu verstärken, sind die Voraussetzungen besser, dass Veränderung positiv angenommen wird.

Vorteile und Nachteile von Veränderung

Gestaltung von Veränderung erfolgt also in vier sorgfältig durchdachten Schritten:

  1. Was sind die Vorteile der Veränderung? (Erarbeite die Vorteile.)
  2. Warum sind die Risiken der Veränderung gering? (Eliminiere oder reduziere die Risiken!)
  3. Warum sind die Vorteile des Status quo gering gegenüber den Vorteilen der Veränderung? (Sorge dafür, dass Vorteile des Status quo erhalten bleiben oder durch die Vorteile der Veränderung aufgewogen werden oder zeige, dass sie bei Nicht-Veränderung in Gefahr sind.)
  4. Warum sind die Risiken hoch, wenn wir uns nicht verändern? (Erarbeite die Nachteile der Beibehaltung des Status quo.)

Wird Veränderung in Organisationen damit zum Selbstläufer? Wohl kaum! Nach wie vor wird zunächst nur eine kleine Minderheit die Veränderung aktiv begrüßen.

Technology Adoption Lifecycle

Aber eine sorgfältige Vorbereitung und Kommunikation von Veränderungen in Organisationen erleichtert es, die Kluft [3] zwischen den Enthusiasten und Visionären einerseits und der Mehrheit der Pragmatiker und Konservativen andererseits zu überwinden [4].

[1]
Der Sketch ist von E. M. Goldratt, dem Vater der Theory of Constraints.
[2]
Angst ist der „big Gorilla“ im Spiel. Ist sie erst einmal geweckt, dann wird es schwierig.
[3]
Diese Darstellung ist nach Geoffrey A. Moore: Chrossing the Chasm, marketing and selling high-tech products to mainstream customers; 1991, Harper Collins
[4]
vgl. dazu auch Fukudas Parabel

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7 Kommentare zu “Die vier Seiten des Wandels”

  1. Michael Ludwig Höfer

    :-) Geniales Video, danke für den Hinweis! Die vier Aspekte der Theory of Constraints erinnern mich an die sechs Hüte von De Bono. Immerhin geht es bei beiden Methoden darum verschiedene Standpunkte einzunehmen, und zwar nacheinander, um sie dann abzuwägen.

    Mir gefällt diese Methode von Goldratt gut, aber ich sehe in der direkten Anwendung eine kleine Beschränkung. Diese 4-Felder-Bewertungsmatrix ist rational: Was nützt, was nicht. Und warum, und wie?

    Wandel erzeugt aber auch als solcher Angst, unabhängig von rationalen Gründen. Der Status Quo vermittelt immer Sicherheit, weil Berechenbarkeit. Sicherheit ist ein emotionales Bedürfnis, das nicht selten auch rationale Gründe wider besseren Wissens aufwiegt. Wer würde diese Motivation in einer direkten Fragerunde zugeben? Je größer die “Sicherheit” und Rationalität der Diskussion, umso besser wird die Methode funktionieren. VG.

  2. Paul.Bayer

    Hallo Ludwig,

    interessanter Hinweis.

    Alle vier Aspekte des Wandels sind immer auch mit Emotionen verbunden. Keiner davon ist nur rational. Sie sind gekoppelt an Wünsche, Werte, Ängste, Träume, Erlebnisse und Erfahrungen … Bei jedem der Aspekte geht es daher nicht nur um einen vollkommen „rationalen“ Diskurs (gibt es so etwas?). Sondern wir müssen diese enge Kopplung von vorne herein akzeptieren. Die Bildchen (Alligator, Meerjungfrau usw.) sollen das auch metaphorisch ausdrücken.

    Sicher ist es schwierig, über etwas, das für jede Person so spezifisch ist und mit Emotionen belegt ist, einen Dialog zu führen. Die Idee ist hier auch einfach nur, darauf hinzuweisen, dass ein Dialog über Veränderung diese vier Aspekte beinhalten muss, wenn er denn erfolgreich sein will.

    Ich glaube auch nicht, dass der Status quo immer Sicherheit vermittelt. Wir sollten uns die vier Seiten des Wandels als dynamisch und im Fluss vorstellen. Wie groß und gewichtig jede der vier Seiten für eine Person ist, hängt von ihren Vorstellungen ab. Für jemanden, der sich einen sicheren Weg zum Goldschatz vorstellen kann und weiß, wie er seine Meerjungfrau mitnehmen kann, ist der Alligator größer als für den, der sich in einer ausweglosen Situation sieht.

    Herzliche Grüße,
    Paul

  3. Lars Vollmer

    Hallo Paul,

    endlich die Zeit, Dir für die gelungene Interpretation des Goldratt-Videos zu danken. Ich bin der Überzeugung, wir haben mit diesem Thema einen ganz zentralen Punkt am Haken.

    Ich habe mir erlaubt, auf Deinen Blogeintrag zu verweisen (http://www.lars-vollmer.com/blog/wir-brauchen-mehr-persoenliche-krokodile) und mal versucht, den Gedanken weiterzuspinnen.

    Freue mich auf die weiteren Diskussionen.
    Beste Grüße
    Lars

  4. Paul.Bayer

    Hallo Lars,

    vielen Dank dafür, dass Du das Thema aufgreifst und auch konkret in Deinen Workshops anwendest. Meiner Erfahrung haben viele Führungskräfte Ängste, gerade ihre persönlichen Sorgen anzusprechen. Für mich ist es kein Wunder, dass sie eher abstrakt bleiben, wenn die Diskussion darauf kommt.

    Führungskräfte haben ständig Angst vor Krokodilen (bzw. Alligatoren). Sie besser und vor allem konkret herauszuarbeiten und in Zusammenhang mit Veränderungen zu stellen ist notwendig, um Veränderungen zu unterstützen.

    Herzliche Grüße,
    Paul

  5. Die rote Königin » Beitrag » wandelweb.de

    [...] Menschen in Red-Queen-Rennen haben ständig das Gefühl, angegriffen zu werden, und „gegen Alligatoren zu kämpfen“. Vgl. dazu den Beitrag „Die vier Seiten des Wandels.“ [...]

  6. Wir brauchen mehr persönliche Krokodile! - Dr. Lars Vollmer

    [...] Herz legen, der in seinem empfehlenswerten Blog »Wandelweb« die Zusammenhänge in dem Beitrag »Die vier Seiten des Wandels« sehr prägnant [...]

  7. Frank Lange

    Hallo Paul,

    vielen Dank für den gelungenen Artikel, speziell für die Verknüpfung von “Resistance to Change” mit der Kurve aus “Crossing the Chasm”.

    Ich glaube ebenso, dass gerade die 4 Felder eine der besten Methoden aus der TOC sind, um strenges logisches Denken mit Emotionen zu verbinden. Ich arbeite gern mit der Limbic Map von Hans-Georg Häusel und habe diese kürzlich ebenfalls mit dem Konzept “Resistance to Change” verknüpft.

    Der Pot of Gold ist meiner Erfahrung nach besonders gut geeignet, um Dominanz-orientierte Menschen auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören. Diese Menschen sind besonders gut darin sich auf Positives in der Zukunft zu fokussieren und können alle anderen Felder gut aus ausblenden. Das Krokodil liegt meist kompett unter ihrer Wahrnehmungsschwelle und nutzt daher nicht zur “Motivation”.

    Stimulanz-orientierte Menschen sind ebenfalls offen für Neues, jedoch im Gegensatz zu Dominanz-orientierten Menschen verletztlicher in Bezug auf negative Effekte der Veränderungen. Bei ihnen ist es wichtig, den Pot of Gold immer wieder in den Mittelpunkt zu rücken und Sicherheit zu vermitteln im Bezug auf die Krücken.

    Balance-orientierte Menschen möchten den Status Quo lieber bewahren und sind daher in der Regel weniger offen für Veränderungen. Die Meerjungfrau scheint ihnen alles zu bieten was sie brauchen. Das Krokodil hat hier die wichtige Aufgabe, Komfortzonen aufzubrechen und den ersten wichtigen Schritt zu wagen.

    Für mich sind diese Differenzierungen entscheidend, wenn es um Veränderungen innerhalb von Teams und Organisationen geht. Jeder Mensch hat individuelle Ziele, Wünsche, Emotionen. Erst wenn diese in ihrer Einzigartigkeit wahrgenommen und unterstützt werden, ist der Weg frei für schnelle und nachhaltige Veränderungen.

    Beste Grüße

    Frank

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