Die Krise als Chance
Paul.Bayer am 7. December 2008 um 17:43Der Wandel ist da, mit aller Brutalität der Finanz- und Wirtschaftskrise. Die Krise musste kommen, weil wir zu lange an überkommenen Vorstellungen und Methoden festgehalten haben, weil wir Angst haben vor der unausweichlichen Veränderung, weil wir zu sehr auf Eigennutz bedacht waren. Dies ging und geht bis zum völligen Ignorieren der Realität. Das Ergebnis ist eine harte Landung. Die Vernichtung der Finanztitel hat bereits begonnen, jetzt geht es in die Realwirtschaft und an die Lebensverhältnisse.
Szenarien
In Leading Through Uncertainity identifizieren Bryan und Farell im McKinsey Quarterly vier Szenarien für die Wirtschaftskrise:
- Wiedergefundenes globales Momentum: moderate Rezession von 3 bis 4 Quartalen mit nachfolgendem starken Wirtschaftswachstum.
- Blockierte Globalisierung: moderate Rezession von 1 bis 2 Jahren mit nachfolgendem langsamen Wirtschaftswachstum.
- Arg mitgenommen aber widerstandsfähig: verlängerte Rezession von 18 Monaten oder mehr, neue wirksame Regulationsmechanismen, langsame Erholung durch wirksame Fiskal- und Geldpolitik einiger Regionen.
- Langer Frost: Rezession dauert länger als 5 Jahre, fiskalische und monetäre Regulation ist unwirksam, alle Regionen stagnieren, Liquiditätsklemme, sehr langsame Erholung von Handel und Kapitalflüssen.
Ein noch düstereres Szenario finden wir bei Chris Martenson. In seinem Crashkurs argumentiert er, dass sich Finanzkrise, exponentielles Bevölkerungswachstum, Rohstoff- und Energieknappheit miteinander verkoppeln und über die nächsten etwa 20 Jahre zu einem dramatischen Wandel führen.
Wenn wir die aktuellen Aktionen von Politik und Zentralbanken betrachten, so geht es diesen wohl darum, Szenario 4 zu verhindern und Szenario 3 zu ermöglichen. Deswegen ist es eine vorsichtige Annahme, sich auf etwas zwischen 3 und 4 einzustellen und die anderen Szenarien im Auge zu behalten.
Chancen
Rahm Emanuel von der künftigen Obama-Regierung erklärt, dass die Krise zu Veränderungen zwingt, die bisher unmöglich erschienen:
Es geht darum, die Chancen zu sehen, die die Krise bietet. Das sind zum Beispiel:
- Entwicklung neuer, regenerativer Energie- und Antriebskonzepte,
- Umstellen auf flexiblere Produktionskonzepte in kleineren Stückzahlen,
- Abbau von Bürokratie zugunsten schnellerer Entscheidungen,
- Nutzen von Überkapazitäten, um die Infrastruktur zu verbessern,
- radikales Reduzieren von Beständen, um Cash zu erzeugen und um Überproduktion zu vermeiden,
- Verkürzung von Entwicklungszeiten, um neue Produkte in kürzerer Zeit auf den Markt zu bringen,
- engere Zusammenarbeit in der Supply-Chain, um schnelleren und flexibleren Fluss zu ermöglichen,
- verstärkte Betrachtung des gesamten Wertstroms und Produktionssystems von der Vorentwicklung bis zum Kunden, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen.
- Insourcing von Produkten.
Diejenigen Unternehmen, die diese Disziplinen meistern, werden gestärkt aus der Krise hervorgehen. Hier bieten sich grosse Chancen für die Anwendung und Entwicklung der Deming-Philosophie und von Lean- oder TOC-Techniken.
Richtiges Navigieren in der Krise
Im Gegensatz dazu werden diejenigen Unternehmen, die ihr Heil in Cost-Cutting, Entlassungen, Streichen von Investitionen und Entwicklungsprojekten … suchen, weiter destabilisiert werden und scheitern oder geschwächt aus der Krise kommen. Legt man den Schwerpunkt zu sehr auf das Schrumpfen, kann man die Chancen, die die Krise bietet, einfach nicht nutzen.
Natürlich muss gespart werden, natürlich müssen alle Aktivitäten überprüft werden, muss man sich konzentrieren. Aber der Schwerpunkt muss darauf gelegt werden, eine lebensfähige Struktur zu haben, um den Kunden neuen und grösseren Nutzen bieten zu können. Die Widerstands- und Lebensfähigkeit der Unternehmen muss also ausgebaut werden. Es gibt eine Chance für ein neues Management, das seinen Schwerpunkt wieder in operativer Exzellenz, Lebensfähigkeit und Fitness der Organisation sieht.
Auf wandelweb.de werde ich verstärkt versuchen, die Krise und ihre Chancen in diesem Sinne zu begleiten. Wir können dafür auf Lean- und TOC-Techniken, auf die EKS-Strategie von Wolfgang Mewes, auf Stafford Beers Arbeit und vieles mehr zurückgreifen. Die Krise ist eine Zeit des Lernens, eine spannende Zeit.
am 7. December 2008 um 21:28 Uhr.
Hallo Paul,
wieder ein ganz genialer Beitrag. Werde das Ganze mal twittern;-))
Schöne Grüße
Ralf
am 7. December 2008 um 22:12 Uhr.
Hallo Ralf,
nicht so genial, vielleicht etwas counterintuitiv. Wir Menschen tun uns schwer damit, diskontinuierlich zu denken. Du erinnerst Dich: benutze den Eisberg, um die Passagiere der Titanic zu retten. Dafür gibt es viele Vorbilder, z.B.:
TRIZ-Prinzip 22: Schädliches in Nützliches wandeln.
Sun Tzu: Nachteil in Vorteil verwandeln.
Evolution: Das Sterben der Dinosaurier ermöglicht das Entstehen neuer Spezies.
Die Schwierigkeit ist in der Praxis, die Angst zu überwinden, um die Chancen zu nutzen.
Viele Grüße,
Paul
am 8. December 2008 um 11:59 Uhr.
Auf wandelweb.de werde ich verstärkt versuchen, die Krise und ihre Chancen in diesem Sinne zu begleiten.
Hallo Herr Bayer,
Sie sehen es durchaus richtig: Nur wer eine Krise als Chance begreift und nutzt, kann erfolgreich aus der Krise hervorgehen. Ich freue mich auf Ihre kommenden Beiträge zu diesem Thema.
Beste Grüße
Joachim Zischke
am 10. December 2008 um 09:45 Uhr.
Hallo Paul,
auch der unbequemste Sturm oder die “falsche” Windrichtung kann positiv genutzt werden.
Das ist auch was Peter Senge sagt: http://www.pegasuscom.com/asx/senge1on1_01.asx
Don’t push against the system – that just doesn’t work!
Beste Grüße
Ralf