Der vierte Pfeiler der TOC
Paul.Bayer am 15. June 2011 um 11:01Die TOCICO Konferenz 2011 in Palisades (NY) findet das erste Mal ohne Eli Goldratt statt. Aber er hat seine letzten Einsichten noch wenige Tage vor seinem Tod am 11.6.2011 einer Gruppe von Leuten weitergegeben und hat mit ihnen die Themen der ersten zwei Tage vorbereitet.
Sein Schwerpunkt lag dabei auf dem, was er als den „vierten Pfeiler der TOC” sah, auf der Bereitschaft, das Bekannte in Frage zu stellen. In „The Choice” hatte Goldratt vier Hindernisse benannt, die uns Menschen davon abhalten, klar zu denken und ein erfülltes Leben zu führen:
Never say “I know”
Um die TOC nach Goldratt weiterzuentwickeln, müssen wir am vierten Hindernis arbeiten und verstehen, dass ein bestehendes Wissen immer nur einen größeren, neuen oder tieferen Bereich zeigt, den man (noch) nicht weiß. Die Gelegenheit zur Weiterentwicklung und zum Lernen liegt in dieser Unwissenheit und in der Bereitschaft, sie einzugestehen und zu erforschen.
Auf den Schultern von Giganten
Um das vierte Hindernis anzugehen, hat uns Goldratt einen Prozess hinterlassen, um die Beschränkungen des bekannten Wissens zu erforschen, zu überwinden und neues Wissen zu entwickeln:
- Identifiziere einen „Giganten”, keine Nebensächlichkeit. (Lasse dich von deiner Intuition leiten, das Thema muss dir wichtig sein.)
- Identifiziere die Größe des Bereichs, der von dem Giganten nicht abgedeckt wird. (Die Realität zeigt dir, dass viel mehr getan werden kann. Du zielst auf einen breiteren, nicht einen engeren Bereich als denjenigen, den der Gigant ansprechen konnte.
- Steige auf die Schulter des Giganten. (Nehme die historische Perspektive ein und verstehe die Lösung des Giganten besser als er selbst.)
- Verstehe den konzeptionellen Unterschied zwischen der Realität, die durch den Giganten so dramatisch verbessert werden konnte und dem davon unberührten Bereich.
- Identifiziere die falsche Annahme.
- Führe die vollständige Analyse durch, um das Kernproblem, die Lösung usw. zu bestimmen.
Es ist dieser Prozess, den Taiichi Ohno anwandte als er sich mit Henry Fords Produktionssystem auseinandersetzte, um das Toyota Produktionssystem zu entwickeln. In seinem Aufsatz „Standing on the Shoulders of Giants“ zeigte Goldratt diesen Prozess in der Auseinandersetzung mit Taiichi Ohnos Arbeit. Und jetzt fordert uns Goldratt quasi als sein Vermächtnis auf, diesen Prozess auf seine eigene Arbeit anzuwenden.
Die kritische Kette weitertreiben
Am ersten Tag der TOCICO Konferenz wandten wir Elis Prozess zur Wissenserweiterung auf CCPM-Projektmanagement an. Anlass war die Erfahrung in einem Unternehmen, das bereits CCPM eingeführt hatte, dass schlechtes Multitasking dort immer noch überwog. Obwohl die zerstörerischen Wirkungen von Multitasking auf die Projektdurchlaufzeiten in diesem Unternehmen weithin bekannt waren und die Projekte sorgfältig gestaffelt waren usw., versuchten die Leute immer noch an zu vielen Dingen parallel zu arbeiten.
Deswegen wurde dort der Einfriermechanismus von Projekten auf Projektzweige und Aufgaben erweitert und das Full-Kitting verbessert (Aufgaben besser vorbereiten und erst beginnen, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind). Allein durch die Begrenzung der Anzahl der offenen Aufgaben pro Mitarbeiter stieg der Projektdurchsatz von vorher durchschnittlich 5 auf 13 Projekte pro Monat nachhaltig an. Es gibt also ein riesiges Verbesserungspotenzial, das durch CCPM bisher noch nicht erschlossen wird und das sich Projektorganisationen aufbauend auf CCPM weiter erschließen können.
Projektmanagement nach der kritischen Kette (CCPM) kann und muss also deutlich erweitert werden:
- auch auf Organisationen, die an internen Projekten arbeiten,
- deutliche Reduzierung der Zahl interner Projekte auf die entscheidenden,
- Steuerung auch der projektfremden Aufgaben,
- Begrenzung des WIP der unerledigten Aufgaben auf Mitarbeiter- und Teamebene.
Mit dieser Demonstration und Diskussion, die noch zusammen mit Eli vorbereitet wurde, wurde der TOCICO-Gemeinschaft deutlich, dass – aufbauend auf dem bisherigen – noch viel mehr neues getan werden kann. Die Theory of Constraints ist offen dafür. Das ist die letzte Botschaft Eli Goldratts.