Warusa Kagen

Paul.Bayer am 1. November 2007 um 12:15

„Warusa Kagen“ ist ein japanischer Begriff und bedeutet: Wie schlecht ist die Situation wirklich [1]? Ohne nüchterne und kritische Bestandsaufnahme ist durchgreifende Verbesserung nicht zu haben. Manche wundern sich, warum es nicht gelingt, durchgreifende Verbesserungen zu erzielen. Frage: haben wir die Situation wirklich realistisch genug erfasst?

Ich denke manchmal unsere Situation, unser Problem ist, dass wir aus aus den Augen verloren haben, worum es in unseren Unternehmen eigentlich geht: Sachen machen (Monozukuri)!

Schöne neue SAP-Welt!

Beispiel: In der Logistik wird ein neues EDV-System eingeführt, das mehr Reports erzeugt. Das simple Versenden eines Päckchens dauert damit aber länger und erfordert einen größeren Aufwand. Es kommt also zu Problemen und man benötigt einen „Sonderablauf“, ein neues Softwaremodul, ein Projekt usw. für das schnelle Versenden von Päckchen, was die Situation weiter kompliziert …

Das neue Projekt erhält den Titel „Business Process Reengineering“. Natürlich muss dafür wieder eine Software angeschafft werden (z.B. ARIS). Um die SAP-Fraktion nicht zu vergraulen, wird beschlossen, dass die Verbesserungssoftware eine SAP-Schnittstelle hat. Die Entscheidungen, die in diesem Zusammenhang getroffen werden müssen, erfordern das Anfertigen unzähliger Powerpoint-Präsentationen … Die Manager und Mitarbeiter, die in solche Entwicklungen eingebunden sind, hören irgendwann auf, vernünftig nachzudenken. Sie kennen nur noch Eingabemasken, Zulassungen und Zuständigkeiten.

Welches Denken des Managements steckt hinter Prozessen und Systemen, die immer komplizierter und undurchschaubarer werden? Steht es nicht jeder wirklichen Verbesserung der Situation im Wege? Liegt nicht in diesem Denken und Handeln die eigentliche Hürde (Constraint), die uns davon abhält, schlank zu produzieren? In Unternehmen, in denen dieses Denken dominiert, bleibt Verbesserung darauf beschränkt, die Probleme zu bekämpfen, die durch ständige Umorganisation, komplizierte Software, Fehlentscheidungen usw. bewirkt werden. Das System muss irgendwie am Laufen gehalten werden. Es handelt sich mehr um Desaster-Management als um Verbesserung. Aber Stufe 3 der Prozessfähigkeit: Stabilität und visuelle Kontrolle als Voraussetzung für durchgreifende Verbesserung sind so nicht erreichbar.

Eine Bewußtseinsrevolution

Hirano unterstreicht deshalb, dass eine „Bewußtseinsrevolution“ im Management Voraussetzung für wirkliche Prozessverbesserung ist [2]. „Die Kernpunkte sind:

  1. Denke, dass der gegenwärtige Weg, die Dinge zu tun, der schlechtest mögliche Weg ist.
  2. Die Bewußtseinsrevolution muss in den Köpfen der Topmanager beginnen.
  3. Manager und Vorgesetzte müssen das alte System durch Verbesserungen in der Fertigung verändern.
  4. Unterweise die Mitarbeiter bei jeder Gelegenheit in den neuen Methoden, bei Arbeitsbesprechungen und auf besonderen Seminaren.
  5. Weil Umstellungen in der Fabrik immer auf Widerstände stoßen, ist es wichtig, einen grundlegenden Geist für Verbesserungen zu erzeugen und zu fördern.“

Dabei sind die ersten beiden Schritte die kritische Bestandsaufnahme. Die Schwierigkeit dabei ist, dass dieselben Personen, die das bisherige System erzeugt und aufgebaut haben, es und damit ihre bisherige Identität in Frage stellen müssen. Über diese Hürde (unsere Egos fallen zu lassen) springen nur wenige. Ohne Anleitung ist es fast unmöglich.


[1] vgl. GembaPantaRei: Warusa Kagen is a Revolution of Awareness
[2] Hiroyuki Hirano, 5 pillars of the visual workplace: the sourcebook for 5S implementation.– 1995, Productivity Press, S. 29

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2 Kommentare zu “Warusa Kagen”

  1. Matthias

    Sehr grundsätzlich. Sehr tiefgründig. Und wohl sehr richtig. Aber in vielen Unternehmen gibt es die Bereitschaft zur grundsätzlichen Reflektion nicht (mehr).

    Man steckt “tief” im Tagesgeschäft und sucht nur nach den hier treffend geschilderten, vordergründigen (schnellen) Lösungen.

  2. Paul.Bayer

    Durchgreifende Verbesserung ist nur möglich, wenn die bestehende Situation in Frage gestellt wird. Das ist leider nur zu haben, wenn man darüber nachdenkt. Das TPS wird auch als „Thinking Production System“ bezeichnet.

    Diese Frage stelle ich mir im Tagesgeschäft oft: Wie bringe ich die Leute dazu, nachzudenken und die Situation in Frage zu stellen. Dafür ist es notwendig, den anderen Leuten Fragen zu stellen.

    „Warusa Kagen“ ist schon an sich eine starke Frage. Dadurch ist es möglich, Leute zum Nachdenken zu bringen. Aber man muss den richtigen Moment dafür finden.

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