Vor Ort, am Produkt, in der Realität
Paul.Bayer am 8. October 2007 um 23:37„San-Gen-Shugi“ ist japanisch und bedeutet soviel wie die „Haltung der drei Gen“:
- Gemba – vor Ort,
- Gembutsu – am Produkt,
- Genjitsu – in der Realität.
Diese Punkte sind die Basis für Prozessverbesserung. Ohne Arbeit vor Ort, am Produkt und in der physischen Realität, ohne physikalische Veränderung gibt es keine Verbesserung. Das ist banal, nicht wahr?
Weshalb erwähne ich es dann? Weil man sich in der Praxis oft mit Leuten (Managern, Ingenieuren usw.) befassen muss, die das Gegenteil leben, die nicht vor Ort gehen, nicht das Produkt untersuchen, nicht die Fakten kennen und sich damit auch nicht abgeben wollen.
Diese Leute urteilen aufgrund von Hörensagen, sie glauben an Geschichten und Behauptungen, die sie von anderen gehört haben, die diese auch nur vom Hörensagen kennen. Offensichtlich leben sie in einer Welt oder Kultur, in der es für sie nicht normal ist, die Fakten zu überprüfen, sie zu „begreifen“ und zu „verstehen“.
Die Situation zu „erfassen“, das erfordert Aktion – hinzugehen, zu schauen und die faktische Realität vor Ort zu akzeptieren. Das ist die Basis von Problemlösung, Prozessverbesserung, schlanker Produktion … Leider ist diese Basis nicht für jedermann selbstverständlich.
Toyotas „Geheimnis“
Grundlage des Toyota-Systems ist „Monozukuri“. Das bedeutet soviel wie „Sachen machen“ und bezeichnet ein handwerkliches Grundverständnis. Monozukuri beinhaltet Experiment, Kreativität, Erfindungsreichtum, Streben nach Verbesserung, Perfektion usw. Es beinhaltet ebenfalls die praktische Herangehensweise von San-Gen-Shugi. Monozukuri bedeutet langes Lernen bis zur Meisterschaft. Es erfordert damit „Hitozukuri“: die Entwicklung von Menschen.
Wenn wir verstehen, dass diese praktischen Voraussetzungen in den Menschen in unseren Werkhallen, in unseren Unternehmen, in unserem Berufsbildungssystem, unseren handwerklichen Traditionen … schon greifbar da sind, haben wir den Zugang zur wichtigsten Ressource, um schlanke Produktion auch hierzulande zu entwickeln. Man kann das bei jedem Kaizen, bei jeder Problemlösung vor Ort erfahren.
Um diese Quelle anzuzapfen, muss man allerdings vor Ort gehen, sich mit dem Produkt und der Realität auseinandersetzen. Offensichtlich hat Toyota einen Weg gefunden, um dieses Grundverständnis in seiner Organisation und bei seinem Management weiterhin wachzuhalten.
Was tun?
Jeder kann San-Gen-Shugi selbst praktizieren, seine Power erleben und demonstrieren. Man sollte sich allerdings darauf einstellen, dass man diejenigen Leute nicht dafür gewinnen kann, die das für unter ihrer Würde halten. Diese Leute sind ein Problem.
vgl: Minoura über das Toyota Produktionssystem
am 27. December 2007 um 11:22 Uhr.
Strukturen in deutschen -und vielleicht auch europäischen- Organisationen (Unternehmen, Bildungswesen, Gesellschaft, etc.) sind immer noch sehr funktional geprägt und jeder Funktionsinhaber ist von der Richtigkeit seines Handelns überzeugt. Darüberhinaus herrscht oft der Glaube vor, Verantwortlichkeit bei anderen Beteiligten zu erwarten, ohne diese in irgendeiner Form zu hinterfragen.
Dies führt dazu, Manager im Wunsch “ihr Gesicht nicht zu verlieren” nicht Genchi Gembutsu vorleben. Bei offener Hinterfragung von Ursachen auf dem Shopfloor (betrachtet man ein Unternehmen) kann nämlich herauskommen, dass das eigene Handeln erst zu beobachteten Problemen führte.
Da Manager -in der Regel- starke Persönlichkeiten sind und das Zugeben von Fehlern durch die kulturelle Prägung nicht grundsätzlich zu den starken und ausgeprägten Eigenschaften gehören gibt es keine Vorbildfunktion für die übrigen Mitarbeiter in Bezug auf Genchi Genbutsu bzw. Gemba. Dies wiederum führt dazu, dass das Vor-Ort-Gehen und Hinterfragen -sowohl durch Manager und Mitarbeiter- schwierig (oder fast unmöglich) ist in etablierten Unternehmen mit jahrzehntelanger gelebter hierarchierchischer/funktionaler Kultur zu etablieren ist.
Der Start muss beim Management erfolgen: mit Fragen beginnt Wandel!
Die Frage, die sich mir immer wieder stellt: Wie lässt sich das schaffen?
Schöne Grüße
Ralf
am 27. December 2007 um 13:10 Uhr.
Hi Ralph,
Eigene Verhaltensweisen zu ändern ist besonders dann schwer, wenn grössere Veränderungen erwartet werden. Deswegen glaube ich, dass Genchi Genbutsu der richtige Ansatz ist, weil er zunächst keine allzu grossen Veränderungen erwartet und weil man schrittweise hineinkommen kann. Über diese Hürde müssen die Manager aber schon springen.
Zwei Punkte erleichtern allerdings das Ganze:
1. Die Japaner sagen: „Einer allein traut sich nicht über eine befahrene Straße gehen, aber hundert Leute trauen sich schon.“ Genchi Genbutsu sollte deswegen als Prozess organisiert werden. Unter „Hilfsmittel“ ist eine Prozessbeschreibung dafür.
2. Fukudas Parabel geht davon aus, dass Veränderungen zunächst nur von etwa 10% der Leute (die „Ruderer“) begrüßt, von 80% beobachtet (die „Zuseher“) und von 10% (die „Meckerer“) abgelehnt werden. Man soll Veränderungen zunächst mit den Ruderern machen. Wenn der Plan der Ruderer gut ist, werden sich die 80% Zuseher langsam zu den Ruderern gesellen. Die Meckerer soll man ignorieren solange sie nicht aggressiv werden. Deswegen sollten sich diejenigen Manager zusammen tun, die ein Gemba-Mindset haben und den Prozess leben wollen.
Viele Grüße,
Paul
am 1. March 2011 um 11:17 Uhr.
Paul, drei Jahre sind eine lange Zeit und noch immer ist Dein Beitrag so aktuell wie im Dezember 2007. Es sind die “kleinen” Veränderungen, die die großen bedingen (wie überall im Leben). Wie eine Menge an “Ruderern” den Prozess wandeln können zeigen eindrucksvoll die Ereignisse in Ägypten, Tunesien, und anderswo in Nordafrika. Wie bei großen Veränderungen in Unternehmen, hat man sie kaum kommen sehen in diesem Umfang.
In welcher Weise lassen sich die Erkenntnisse aus dem Weltgeschehen zurück an die Werkbank transferieren? Das wird die Herausforderung unserer Zeit sein
Viele Grüße
Ralf