Falsches Denken über Fehler
Paul.Bayer am 6. December 2007 um 22:56Das Leanblog hat einen Hinweis auf einen interessanten NY Times Artikel: „The Many Errors in Thinking About Mistakes“.
Der Artikel argumentiert, dass unsere Angst vor Fehlern und deswegen unsere Schwierigkeiten zu lernen hauptsächlich durch die Erziehung und das Bildungssystem erzeugt werden:
- Es belohnt diejenigen, die keine oder möglichst wenig Fehler machen. „Wir wachsen mit einer widersprüchlichen Botschaft auf: Fehler zu machen ist notwendig, um zu lernen, aber wir sollten sie vermeiden.“
- Die Leute werden gelehrt, dass Intelligenz etwas festes ist. „Untersuchungen mit Kindern und Erwachsenen zeigen, dass ein großer Prozentsatz keine Fehler oder Rückschläge ertragen kann. … Besonders diejenigen, die glauben, dass Intelligenz festgelegt und unveränderlich ist, neigen dazu Chancen nicht wahrzunehmen, die zu Fehlern führen könnten.“
- Intelligenz wird mehr gelobt als Bemühung. Ein Test zeigt, dass Schüler, die für ihre Intelligenz gelobt wurden, dazu neigten, einfachere Aufgaben zu wählen als Schüler, die für ihre Bemühungen gelobt wurden.
- Während wir aufwachsen stellen wir uns deshalb auf die „wirkliche Botschaft“ ein: sei schlau und mache keine Fehler. „Wenn wir älter werden, legen wir viel Wert darauf, immer richtig zu liegen. Wenn die Dinge unvermeidbar schief laufen, geißeln wir uns selbst oder beschuldigen jemand anderen oder versuchen es zu vertuschen. Oder wir entschuldigen es indem wir sagen, andere machen noch mehr Fehler.“
Die meisten dieser Muster aus dem Erziehungssystem werden im Arbeits- und Geschäftsleben, in den Unternehmen wiederholt: Wir sind zu sehr auf das Ergebnis statt auf den Prozess konzentriert. „Wir werden ergebnisfixiert … aber alle reden über die Notwendigkeit zur Innovation. Aber wenn du die Antwort schon weißt, ist es kein Lernen. … Wenn du den Fehler vermeidest, vermeidest du den Lernprozess.“
Angst vor Fehlern verhindert Verbesserung
Ich frage mich oft, woher es kommt, dass die (meisten) Leute gegen Verbesserungsideen zunächst erst einmal Einwände vorbringen und so jede Idee im Keim ersticken. Ist es eine tiefsitzende Angst vor Fehlern? Wenn das stimmt, müssen wir, um Kaizenregeln 2 („Frage wie es getan werden kann!“) und 3 („Höre auf mit Entschuldigungen!“) umzusetzen, etwas gegen diese Angst der Leute unternehmen.
Offen mit Fehlern umgehen
Eine der wichtigsten Verhaltensweisen von Führungskräften in diesem Zusammenhang ist es, eigene Fehler offen einzugestehen und darauf zu bestehen, dass Dinge ausprobiert werden, auch wenn dabei Irrtümer offensichtlich werden und Fehler passieren. Das fällt leichter, wenn wir menschliche Fehler (Fehlhandlungen, Irrtümer) von Objektfehlern (Defekte, Produktfehler) trennen. Wir lassen Fehlhandlungen zu, aber keine Produktfehler. Dazu müssen die Feedbackschleifen so kurz wie möglich gehalten werden, so dass Fehlhandlungen und Irrtümer sofort korrigiert werden können. Kurze Feedbackschleifen erfordern, die Fehler sichtbar zu machen und sie offen anzusprechen. Wenn sie sofort korrigiert werden, gibt es auch keine Beschuldigungen. Vielmehr versucht man, ihre Ursachen zu verstehen.
am 27. December 2007 um 10:57 Uhr.
Hallo Paul,
Peter Senge schreibt in “The Fifth Discipline” (in aktueller 2007 Ausgabe) über das gleiche Phänomen, insbesondere die Schwierigkeit von Team Learning. Team Learning kann nicht beginnen, wenn es nur ein schwach ausgeprägtes individuelles Lernen gibt. Hier sind -wie bereits erwähnt- die kulturellen Prägungen sehr entscheidend, die oft einen Hinderungsgrund darstellen. Unsere Gesellschaft sanktioniert in der Regel Fehler, so dass ein Lernen aus Fehlern zwar gewünscht ist, aber gesellschaftlich das Auftreten von Fehlern abgelehnt wird. Hier ist die Sichtweise von Toyota gänzlich anders, Fehler sind hier notwendig, um besser zu werden (Kaizen).
Ich frage mich, wie diese Umgebungsbedingungen (System) im europäpischen Kontext entsprechend verändert werden können.
Gruß
Ralf
am 27. December 2007 um 13:43 Uhr.
Hallo Ralph,
einer der besten Ratschläge ist – finde ich –, eigene Fehler zuzugestehen und zuzugeben, dass man etwas nicht weiss. Wenn jemand „aus der Hierarchie“ ein solches Statement vor einer Reihe von Mitarbeitern macht, wird das als Beweis seines Mutes und seiner Offenherzigkeit angesehen. Dann öffnen sich die Herzen für eine Diskussion des Themas.
Ich habe mehrmals mit Gruppen von Montagemitarbeitern, denen Fehler passiert waren, die Diskussion so begonnen: „Menschen machen Fehler, ich bin auch ein Mensch und mache Fehler, Mitarbeiter machen Fehler, aber unsere Produkte müssen fehlerfrei sein. Wie können wir das schaffen, dass wir Menschen, die Fehler machen, Produkte bauen, die fehlerfrei sind?“ Dann kamen immer Vorschläge, wie man die Situation verbessern konnte. Die Fehler gingen zurück. Dieser Effekt funktioniert auch in Managementkreisen.
Zum Lernen denke ich, wir sollten es mehr so organisieren, dass es Spass macht. Unter Lernen wird zu sehr intellektuelles Lernen á la Schulbank verstanden. Aber wir sollten Elemente wie Gruppenarbeit, Experiment und physische Erfahrungen integrieren.
Ein kraftvolles Statement von Sir Ken Robinson zum Thema „Do Schools Kill Creativity?“ habe ich kürzlich auf TED gesehen. Aber Erziehung findet nicht nur in Schulen statt sondern auch in Unternehmen.
Viele Grüsse,
Paul
am 27. December 2007 um 22:16 Uhr.
Hallo Paul,
ein -in der Tat- guter Weg, mit seiner eigenen Reflexion, sprich seine eigenen Fehler “vorzubeten”. Viele Hörer werden sich wohlfühlen, da sie erkennen, dass sie nicht alleine ohneTadel, z.B. ohne Kenntnis- Erfahrungs- oder Wissenslücken sind.
Leider ist es m.E. jedoch so, dass wo diese Erkennenden, welches das zugeben von Fehlern als Mut und Offenherzigkeit (be)deuten, sich auch die “Schelme” tummeln und hieraus die Schwäche oder gar Unterlegenheit ableiten und dort die Gunst der Stunde, in Form der Missgunst, erkennen und ihren persönlichen Vorteil sehen. Das wird in Regelfall in unserem Bildungssystem ja in frühen Jahren “anerzogen”. Schwächlinge, Sitzenbleiber oder Verlierer meiden oder am besten unterdrücken! Erfreulicher Weise gibt es auch hier nicht nur Schwarz-Weiß. Insoweit bin ich in meinen Trainingsübungen wo es eben um Stärken und Schwächen geht gerne eine “Bekennender” und habe meist viele “Jünger” um mich, was dann der kleine Durchbruch im Training und hoffentlich später zurück im Berufsalltag erzeugt. In diesem Sinne auf zum Durchbruch – jeden Tag aufs Neue!
Beste Grüße Michael
am 28. December 2007 um 16:17 Uhr.
Lieber Michael,
ich glaube, es gibt zu diesem Weg – die eigenen Fehler offenzulegen – einfach keine Alternative, wenn man die Dinge voranbringen will. Ich habe damit auch noch nie schlechte Erfahrungen gemacht.
Sicher muss man das Ganze situationsbezogen einsetzen, also dann, wenn die Voraussetzungen für Reflektion gegeben sind. Wenn man in einem Meeting ist, bei dem Aggression und Selbstdarstellung dominieren, ist das kaum der Fall. Wenn man in einem Bereich noch nicht bekannt oder etabliert ist, ist die Anwendung ebenfalls schwieriger. Vielleicht erfordert diese Technik auch eine gewisse Unternehmenskultur: Auf Stufe 1, wenn alle eifrigst darauf bedacht sind, ihre Probleme zu kaschieren, muss man vorsichtig sein. Umso kraftvoller ist die Technik, wenn man sie dort im richtigen Moment anwendet.
Wenn Du die „Schelme“ schon kennst, die versuchen, in die vermeintliche Schwäche hineinzustossen, kannst Du die Technik auch benutzen, um sie aus der Reserve zu locken und sie dann nach ihren Fehlern zu fragen.
Viele Grüße,
Paul