Management von Durchbrüchen II
Paul.Bayer am 18. December 2007 um 09:00V838 Monocerotis Light Echo
Verbesserung besteht aus zwei Elementen, ständige Verbesserung und Durchbruchsverbesserung [1]. Der zweite Aspekt (Kaikaku) ist bei uns nur wenig bekannt. Vielmehr glauben viele Führungskräfte, dass man Durchbrüche nicht absichtlich herbeiführen kann. Allan L. Scherr, ein ehemaliger IBM Manager beschreibt eine Vorgehensweise, um gezielt Durchbrüche zu erzeugen [2].
(Vergleiche dazu den ersten Teil des Artikels: Management von Durchbrüchen.)
Management und Führung
Zwei Voraussetzungen sind für Durchbrüche erforderlich:
- Ein Ziel und die Zusage, dieses Ziel zu erreichen und
- die Einsicht, dass das Ziel mit der bisherigen Vorgehensweise nicht erreicht werden kann.
In dieser Situation auf der Zusage zu bestehen und einen Durchbruch anzusteuern, erfordert Führung. Scherr nennt in „A New Model of Leadership“ [2] als vier Aspekte der Führung:
- Vision: Erzeugen einer Zukunftsvision, die über das hinausgeht, was voraussichtlich passiert und deswegen auch darüber hinausgeht, was bekanntermaßen erreicht werden kann.
- Überzeugung: Überzeugen von genügend weiteren Personen zu einem freiwilligen und persönlichen Commitment, die Vision umzusetzen.
- Widerspruch: Erzeugen von Systemen, die schnell Widersprüche erkennen und breit kommunizieren, also eine Lücke zwischen der vereinbarten Vision und dem was unter den gegebenen Umständen voraussichtlich erreicht werden kann … [3]
- Management von Widersprüchen: Erzeugen eines Umfelds, das Widersprüche erfolgreich löst. Dieses Umfeld unterstützt die Leute so, dass sie angesichts des Widerspruchs ihr Commitment zur Umsetzung der Vision erneuern.
Durchbrüche erfordern sowohl Führung als auch Management:
- Ohne Führung wird die bisherige Vorgehensweise nicht verändert.
- Ohne Management kann eine neue Vorgehensweise nicht um- und durchgesetzt werden.
Erzeugen von Durchbrüchen
Die erste Managementaktion im Zusammenhang mit Zielen und Zusagen ist ein Plan, der aufzeigt wie die Ziele erreicht werden können. Der Plan macht eventuell vorhandene Widersprüche offensichtlich.
Dann ist zu entscheiden, ob man angesichts einer offenkundigen „Unmöglichkeit“, die Zusage zu halten, sich weiter daran gebunden fühlt oder sie aufgibt oder modifiziert. Dies ist eine Gelegenheit, das Topmanagement einzubinden:
„Der kraftvollste Weg für ein Durchbruchsprojekt ist es, wenn es auf Verlangen einer Top-Führungskraft eingerichtet wurde, je höher desto besser.“
Alle Beteiligten müssen dann die Möglichkeit erhalten, ihre Zusage zu erneuern.
„Das verlagert den Fokus der Beteiligten vom Widerstand gegen den Widerspruch (z.B. Suche nach Schuldigen …) zur Suche nach Lösungen. … In unserer Arbeit mit Widersprüchen haben wir oft erlebt, dass Lösungen erschienen sind sobald die Leute ihr Commitment erneuert haben – oft wenige Minuten oder Stunden nach der erneuten Zusage. Das Commitment zu erneuern, verlagert den Standpunkt der Beteiligten und erlaubt ihnen oft, Möglichkeiten und Lösungen zu sehen, die zuerst nicht sichtbar waren.“
Der nächste Schritt ist es, den Widerspruch breit zu kommunizieren. Dafür gibt es zwei Gründe. Wenn der Widerspruch breit bekannt wird, kommen Lösungen oft von unerwarteter Seite. Wenn das höhere Management vom Widerspruch erfährt, reduziert das die Spannung, die durch den Widerspruch erzeugt wird und ermöglicht es den Beteiligten, auch über weitere Lösungen nachzudenken, die die Unterstützung des Topmanagements erfordern.
Der nächste und schwierigste Schritt ist es, an den Zusagen festzuhalten auch wenn sich die Umstände unvorhergesehen negativ verändern oder wenn es schwerer fällt als gedacht, einen Durchbruch zu erreichen. Wenn man jetzt das Commitment reduziert, hat das eine verheerende Wirkung auf Moral und auf Leistung.
Schliesslich werden Durchbrüche am besten erzeugt, wenn man die Ursache des Widerspruchs korrigiert. Das Erkennen der Ursache ist wichtig, um den Widerspruch nachhaltig zu beseitigen.
Kritische Erfolgsfaktoren
Scherr führt die folgenden Erfolgsfaktoren für Durchbruchsprojekte auf:
- Notwendigkeit: Das Ziel muss notwendig und gewollt sein. Das Management muss gewillt sein, Risiken einzugehen, um das Projekt zum Erfolg zu führen.
- Commitment: Das Management muss auf den erfolgreichen Abschluss des Projekte authentisch verpflichtet sein. Authentisches Commitment entsteht durch freiwillige und persönliche Zusagen.
- Projekt: Es muss sich um ein wirkliches Projekt handeln mit Projektteam, Auftrag, Plan, Organisation …
- Überzeugung: Wahrscheinlich der wichtigste Erfolgsfaktor ist die Überzeugung des Projektteams, dass substanzielle Durchbrüche möglich sind. Ohne diese Überzeugung können keine Durchbrüche erzeugt werden.
- Erfahrung: Das Team sollte ein gutes Verständnis dessen haben, was seine Aktionen bewirken. Diese Erfahrung ist notwendig, um die Widersprüche zu sehen, die gelöst werden müssen. Wenn das Team die Lücke zwischen dem „Business as usual“ und seinen Zusagen nicht sieht, können dafür auch keine Lösungen erzeugt werden.
Organisation von Durchbruchsprojekten
Durchbruchsprojekte werden in der Regel gestartet indem man dem mittleren Management die Vorgehensweise vorstellt. Dabei wird das Management aufgefordert, mögliche Projekte zu nennen. Die Präsentation wird dann schrittweise auf die genannten Teams und Projekte ausgedehnt. Dabei werden die Leute eingeladen, an dem Durchbruchsprojekt teilzunehmen.
Nachdem das Projekt identifiziert ist, trainiert man direkt das Projektteam unter Beteiligung des zuständigen Managements. Dabei wird hauptsächlich die Bedeutung von Commitment für Durchbrüche behandelt. Die Teilnehmer werden um entsprechende Zusagen für ihr Projekt gebeten. Dies ist der Ausgangspunkt für die benötigten Durchbrüche.
Einige Wochen später erfolgt das nächste Training mit dem Fokus auf Widersprüche, die Chancen, die sie bieten, und mögliche Lösungsstrategien. Zu dieser Zeit gibt es meist bereits einige wirkliche Schwierigkeiten im Projekt, die unmittelbar behandelt werden können.
Während der gesamten Startphase wird das Team durch erfahrene Trainer betreut. Schwerpunkte des Coachings sind der Umgang mit Widersprüchen, das Commitment zu den Zielen und das Lösen der Schwierigkeiten.
„Eine dritte Runde von Teamsitzungen wird gewöhnlich am Ende des Projekts abgehalten. … Jeder Teilnehmer wird für seine mutigen Zusagen, für die harte Arbeit, seine Kreativität und seine Beiträge zum Projektabschluss anerkannt. Ein anderer Aspekt dieser Sitzung ist es, die gelernten Lektionen festzuhalten darüber, was funktioniert und was nicht funktioniert hat. Wir fanden, dass nach dieser Art von Projektabschluss die Mitglieder eher bereit und sogar bestrebt waren, an anderen Durchbruchsprojekten teilzunehmen.“
In dieser Schilderung der Vorgehensweise wird klar, dass man versuchen muss, in einem Projekt die entscheidenden Durchbrüche so früh wie möglich zu erzeugen.
Fazit
„Folgendes konnte beobachtet und geschlussfolgert werden:
- Die grosse Mehrheit der Mitarbeiter in unseren Organisationen sind überzeugt, dass die Produktivität entscheidend verbessert werden kann und muss. Viele Leute haben genaue Ideen, was man für Verbesserungen tun muss, die meisten aber nicht.
- Wenn sie Gelegenheit dazu haben, geben einzelne Personen und Gruppen authentische Zusagen zu Ergebnissen jenseits dessen, was zu erwarten ist. Dazu gehören die meisten Leute, mit denen wir gearbeitet haben.
- Durchbruchsprojekte konnten relativ leicht erzeugt werden, und die gesamten Projektzusagen wurden meist vom gesamten Projektteam mitgetragen.
- Durchbruchsprojekte wurden aus normalen technischen Projekten mit gewöhnlichen Leuten erzeugt. Aber der Ansatz wurde auch erfolgreich auf Projekte in der Spitzentechnologie mit Weltklassewissenschaftlern und -ingenieuren angewandt.
- Die Erfolgsquote des Ansatzes ist hoch und die Qualitätsniveaus sind vergleichbar mit normalen Projekten. Von den anfänglichen 20 Projekten hat nur eines einen deutlichen Produktivitätsgewinn verfehlt. Dieser Misserfolg konnte darauf zurückgeführt werden, dass das Ziel nicht ausreichte, um einen kräftigen Widerspruch zu erzeugen. Ein anderes gescheitertes Projekt ausserhalb IBM hatte ein beeindruckendes Ziel, aber die Teilnehmer hatten zu wenig Erfahrung, um den Widerspruch zu verstehen, den sie damit erzeugten.
- Die Moral unter den Teilnehmern war hoch. Statt am Ende eines Hoch-Produktivitätsprojekts ausgebrannt zu sein, sind die Leute meist energiegeladen und bereit, weiterzumachen.
- Die Kultur von Durchbruchsprojekten kann ausgerollt werden und in benachbarten normalen Teams konnten ebenfalls Produktivitätsgewinne beobachtet werden. Der Schlüssel, um diese Kultur zu verbreiten, ist die Bereitschft des höheren Managements für die Risiken, die solchen Unternehmungen innewohnen. Wenn das Management Risiken und die gelegentlichen Misserfolge nicht ertragen kann, dauert es nicht lange bis die Kultur zu den üblichen Wegen des ‚Business as usual‘ zurückkehrt.“
Es ist durchaus empfehlenswert, die Originalartikel (s.u.) zu lesen. Hoshin-Kanri ist sicher eine weitere Entwicklungsstufe der geschilderten Vorgehensweise, aber für Organisationen ohne Hoshin-Kanri oder auf dem Weg dazu bietet Management von Durchbruchsprojekten einige interessante Ansatzpunkte.
Um die Sache abzurunden, fehlen in der Scherrs Abhandlung des Themas aber die nötigen Techniken und Denkstrategien, um Durchbrüche zu erzeugen [4]. Einige davon werde ich hier demnächst behandeln.
a) Managing for Breakthroughs in Productivity, Januar 2005,
b) mit M. C. Jensen, A new Model of Leadership, 22.8.2007,
c) mit M. C. Jensen, A New Model of Leaderhip, Keynote Slides, 25.4.2007.
Die Artikel können als PDFs heruntergeladen werden.
am 14. January 2010 um 22:38 Uhr.
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