Die Erfahrungsfalle

Paul.Bayer am 2. March 2008 um 20:01
Leonardo da Vinci: Anatomiestudie

Im Harvard Business Review vom Februar 2008 erschien ein interessanter Artikel: „The Experience Trap“ [1].

K. Sengupta, T. K. Abdel-Hamid und L.N. Van Wassenhove berichten darin von Experimenten und Simulationen mit erfahrenen Projektmanagern, in denen die Manager – wenn die Situation komplex wurde – dieselben Fehler immer wieder machten, teilweise wider besseres Wissen. Diese Fehler kommen aus den mentalen Modellen der Manager, aus früheren Erfahrungen und aus der Anwendung weitergegebenen Wissens. Die Autoren fragen, ob in solchen Situationen Erfahrung nicht eher hinderlich ist.

W. Edwards Deming hat bemerkt: „Does experience help? No! Not if we are doing the wrong things.“

Fehlende Feedbackschleife

Die Autoren führen das fehlende Lernen der Versuchspersonen auf folgende Mechanismen zurück:

  • Zeitverzögerungen zwischen Ursachen und Wirkungen,
  • fehlerhafte Einschätzungen, die nicht korrigiert werden,
  • Festhalten an den anfänglichen Projektzielen trotz veränderter Situation.

Die Autoren führen aus:

„Wir schliessen, dass es die Manager schwierig finden, über die mentalen Modelle hinauszugehen, die sie unter relativ einfachen Bedingungen entwickelt haben oder die sie von anderen übernommen haben. Wenn Schwierigkeiten entstehen, ignorieren sie sie entweder oder versuchen sie einfache Daumenregeln anzuwenden, die nur in nicht-komplexen Situationen funktionieren. Sie verbessern die Qualität ihrer mentalen Modelle nicht substanziell, um die Realität komplexer Projekte zu berücksichtigen.“

Stattdessen neigen die Manager dazu, die Verantwortung für Misslingen nicht ihren eigenen Entscheidungen sondern anderen externen Faktoren wie zu hohen Erwartungen der Finanzabteilung oder übertrieben ehrgeizigen Plänen zuzuschreiben.

Vorschläge der Autoren

Die Autoren machen einige Vorschläge wie das Lernen in solchen Situationen verbessert werden kann:

  • Stelle mehr kognitives Feedback zur Verfügung, das das Verständnis für die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge und die zeitlichen Effekte verbessert und Lernen während der Durchführung der Aufgabe ermöglicht.
  • Setze mehr modellbasierte Entscheidungswerkzeuge und -regeln ein, die es den Managern erlauben, die Auswirkungen ihrer Entscheidungen besser abzuschätzen.
  • Passe deine Prognosewerkzeuge an das Projekt an. Sammle systematisch Daten, um Prognosen und Entscheidungen auf der Basis von Daten und Fakten zu treffen.
  • Setze Verhaltensziele, nicht Leistungsziele. Ziele auf Basis anfänglicher Projektschätzungen sind meist unrealistisch und lösen Ausweichstrategien wie zusätzliche Anforderungen oder Sicherheitspuffer aus.
  • Entwickle Projekt-„Flugsimulatoren“, damit das richtige Verhalten auch ausserhalb der Projektrealität trainiert werden kann und so das Systemverständnis steigt.

PDCA und die Notwendigkeit, zu lernen

Lassen sich die Erkenntnisse der Autoren auch für Veränderungsprozesse oder für Unternehmensstrategien einsetzen?

Zum einen erklären die Ergebnisse der durchgeführten Experimente, warum viele Veränderungsprozesse oder Unternehmensstrategien scheitern, wenn die Akteure nicht in der Lage sind aus ihren Erfahrungen zu lernen und immer nur dieselben mentalen Modelle der Vergangenheit anwenden.

Zum anderen können die Vorschläge der Autoren in konkrete Aktionen übersetzt werden, zum Beispiel für visuelles Management, Einsatz von Spielen, Pilotanwendungen, Datensammlung, qualitativen Zielen …

Drittens greifen die Vorschläge der Autoren für Changemanagement und Strategien aber auch zu kurz. Dabei wird Neuland betreten und es ist notwenig, an der Aufgabe zu lernen. Mindestens zwei Elemente müssen dazukommen, damit eine PDCA-Lernschleife entsteht:

  1. Jede Aktion muss als Experiment begriffen werden, mit Hypothese, Test, Check und Anpassung.
  2. Reflektion (Check) im Management muss ein systematischer und gemeinsamer Prozess sein. Die Autoren thematisieren das Einzelkämpfertum im Management nicht, das Erfahrungsaustausch und gemeinsames Lernen verhindert. Um im Management zu lernen, ist eine „Depolitisierung“ erforderlich.

Und der wichtigste Punkt: um nicht in die „Erfahrungsfalle“ zu geraten, müssen wir uns bei Veränderung und Strategien eingestehen, dass unsere Erfahrungen nicht ausreichen und dass wir neu lernen müssen.

[1]
Der Artikel kann bei HBR Online bezogen werden. Bei INSEAD | Knowledge ist ein Interview mit den Autoren zu sehen.

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3 Kommentare zu “Die Erfahrungsfalle”

  1. Ralf Lippold

    Hi Paul,

    Chris Argyris’ Artikel in Reflections (das Magazin der Society for Organizational Learning, SoL) gibt weitere interessante Einblicke, warum die “besten” angenommenen Personen in Organisationen nicht fähig sind zu lernen -bzw. dies erst wieder lernen müssen:

    Teaching Smart People How to Learn

    http://www.velinperformance.com/downloads/chris_argyris_learning.pdf

    Schöne Ostern

    Ralf

  2. Paul.Bayer

    Hi Ralf,

    danke für den Hinweis. Der Argyris-Artikel geht in der Erklärung viel tiefer als der von Sengupta et. al. Ich habe ihn mit großem Interesse gelesen und kann ihn nur weiterempfehlen.

    Vielen Dank für dieses Osterei,
    schöne Feiertage noch,

    Paul

  3. Georg Kleiner

    Hallo,

    nur kurz: Kurt Lewin hat das Thema erforscht. Er nannte das Ergebnis frozen-decison- effect. Es gibt dazu also noch andere sozialpsychologische Studien.

    Georg

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