Das Problem mit der Lean-Umsetzung
Paul.Bayer am 26. April 2008 um 17:33Viele Firmen wollen schlanke Produktion einführen oder umsetzen aber sind dazu nicht in der Lage. Obwohl die Werkzeuge einfach sind, können sie sie nicht umsetzen. Woran liegt das?
Wenn wir diese Frage denjenigen stellen, die in Unternehmen schlanke Produktion umsetzen wollen, bekommen wir Antworten wie:
- „Das Top-Management steht nicht dahinter.“
- „Das mittlere Management macht nicht mit.“
- „Zu wenig Disziplin“.
- „Unfähigkeit zu lernen.“
Gleichzeitig hören wir, dass man warten muss bis sich Effekte einstellen und dass wir Geduld brauchen.
Was verändern?
Machen wir einen Test. Fragen wir Mitarbeiter und Führungskräfte, warum wir schlanke Produktion brauchen. Welche Antworten bekommen wir? Zum Beispiel:
- „Der Vorstand will das.“
- „Soundso macht das auch und hat Erfolge damit.“
- „Das ist wieder so eine Management-Mode. Das geht schon wieder vorbei.“
Wir hören aber kaum:
- „So wie es jetzt ist, geht es nicht mehr weiter. Wir müssen einen Ausweg finden.“
- „Schlanke Produktion ist das richtige für uns. Damit können wir unsere Situation deutlich verbessern.“
Es ist also nicht klar, warum wir uns verändern müssen, was wir an unserer jetzigen Situation verändern müssen. Wenn das nicht klar ist, können auch die Vorteile aus einer Anwendung von Methoden der schlanken Produktion nicht klar sein. Wenn die Vorteile aus der schlanken Produktion nicht klar sind, dürfen wir uns nicht wundern, dass keiner dahinter steht und dass es nur Lippenbekenntnisse gibt.
Als erstes müssen wir uns deshalb fragen: „was müssen wir an unserer jetzigen Situation verändern?“ „Was verhindert eine deutliche Verbesserung unserer Performance?“ „Warum sind die bisherigen Programme zur Effizienzsteigerung nicht erfolgreich?“
Weshalb sollten wir uns Besserung durch schlanke Produktion versprechen, wenn wir uns diese Fragen nicht stellen und die Antworten darauf nicht wissen? Ohne ein klares Bild des Problems, das wir mit schlanker Produktion lösen wollen, werden wir niemanden für die Lösung gewinnen können.
Der Veränderungsprozess
Der Veränderungsprozess erfordert drei Fragen:
- Was verändern?
- Wohin verändern?
- Wie die Veränderung bewirken?
Das Problem mit Lean-Programmen ist, dass diese Fragen nicht oder nicht klar gestellt werden. Das führt dazu, dass die Istsituation nicht in Frage gestellt wird. Das führt dazu, dass es keinen Konsens über das Problem gibt. Ohne Konsens über das Problem können wir keine gemeinsame Lösung finden. Die Folge ist: Lean bleibt auf lokale Initiativen beschränkt, oft nicht einmal an Engpässen. Die Erfolge sind bescheiden.
Wessen Aufgabe ist es, diese Fragen zu stellen? Natürlich ist es Aufgabe des Top-Managements, die Istsituation in Frage zu stellen. Es ist aber auch die Aufgabe all derjenigen, die für schlanke Produktion werben und sie voran bringen wollen. Machen wir unsere Hausaufgaben!
am 26. April 2008 um 18:23 Uhr.
Hallo Paul,
ich finde ich es immer wieder spannend wie sich Diskussionen auf Wandelweb und “Lean Thinking” ergänzen.
Vielleicht ist “Theory U” by Otto Scharmer ein guter Weg die “großen Herausforderungen” unserer Zeit zu tacklen?
http://www.presencing.com/index.html
http://www.theoryu.com/documents/Uncovering_the_blind_spot_of_leadership.pdf
Freue mich auf weitere Diskussionen, die nicht nur theoretisch sind (eher Action Research).
Einen schönen Abend wünscht
Ralf
am 26. April 2008 um 20:09 Uhr.
Hallo Ralf,
na ja! So viele Leute beteiligen sich ja nicht an dieser Diskussion. Aber, was noch ist, kann ja noch werden Es gibt Hindernisse für „Lean Thinkers“ sich die obigen Fragen zu stellen. Es könnte ja herauskommen, dass „Lean“ (oder ihr bisheriges Verständnis davon) nicht die Lösung des Problems ist.
Es gibt für Veränderungen zwei Hindernisse: ungeduldige Visionäre und konservative Leute. Beide schauen sich die aktuelle Situation zu wenig an und stellen sie zu wenig in Frage.
Deine Links werde ich mir ansehen. Beim ersten Durchsehen bemerke ich, dass es Scharmer um sehr um Situationsverständnis geht. Das ist auch genau der Punkt des TPS (Thinking Production System). Danke dafür, sehr interessant!
Viele Grüße,
Paul
am 27. April 2008 um 10:27 Uhr.
Hallo Paul und Ralf,
ich denke, dass das Problem der Lean- Umsetzung auch im Bereich der Kommunikation liegt.
Ich finde, dass das Management angehalten ist, zu erklären warum es notwendig ist und ein klares Ziel definiert, was erreicht werden soll. Des weiteren benötigen die Mitarbeiter auch Sicherheit, dass sie ihren Job behalten, wenn sie Verbesserungsvorschläge einbringen, die Zeit und Resourcen sparen. (Da kommt mir Efrats Wolke gleich in den Sinn – Sicherheit –> Glück.)
Das höre ich oft bei uns.
Sonnige Grüße
Thomas
am 27. April 2008 um 10:48 Uhr.
Hallo Thomas,
ich glaube, das Management muss sich selbst über das Ziel klar werden. Die drei Schritte a) was verändern, b) wohin verändern und c) wie die Veränderung bewirken müssen vom Management selbst durchlaufen werden. Das Top-Management muss darüber Konsens erreichen. Dann ist die Kommunikation auch kein Problem mehr.
Zu diesem Prozess gehört auch die Erkenntnis, dass die Mitarbeiter Sicherheit brauchen, wenn man sie an Bord bekommen will. Und es ist nötig, sie an Bord zu bekommen, wenn man eine Veränderung zum Guten (= Kaizen) haben will.
Schlechte Kommunikation, Unklarheit, Widerstand und Ängste entstehen, weil dieser Prozess nicht stattgefunden hat.
Viele Grüße,
Paul
am 27. April 2008 um 11:19 Uhr.
Hallo
Ich möchte anregen zum “Veränderungsprozess” eine vierte, vorangehende Frage hinzuzufügen: “Was ist das Problem / Was ist noch nicht optimal / im Sinne der Zielvereinbarung?”. Erst dann macht doch die Frage nach “Was verändern?” Sinn – Problembewusstsein muss für einen Veränderungsprozess, soll er von den Betroffenen getragen werden, vorhanden sein. Das setzt selbstverständlich eine positive “Fehlerkultur” sowie gute Kommunikation voraus.
Im Grunde hast du das in deinem gestrigen Kommentar 20.09 ja auch als Hindernis thematisiert.
Beste Grüße, Ludwig
am 27. April 2008 um 11:44 Uhr.
Ja Ludwig,
Du hast recht. Die erste vorangehende Frage lautet: „Warum verändern?“ Sonst machen die anderen drei Fragen keinen Sinn.
Viele Grüße, Paul
am 20. July 2008 um 15:37 Uhr.
Schade, dass ich erst ein viertel Jahr nach den letzten Kommentaren auf das wandelweb und diesen Thread gestoßen bin. Wir haben ein Lean-Projekt gestartet, und zwar im kleinen Rahmen und ohne allzu viel Drumherum. Vor allem: Es geht um die Einführung in einem kleinen mittelständischen Betriebsumfeld, welche ganz anders geprägt ist, als z. B. in der Großindustrie oder mittelständischen Paradebeispiele, wie den Automobilzulieferern.
Wir haben genauso begonnen, wie es Ludwig angeregt hat, nämlich herauszufinden, WAS denn eigentlich noch nicht optimal läuft, und zwar unter Einbeziehung der Mitarbeiter. Und dann war und ist es in der Tat eine zentrale Aufgabe des Managements, hier in Form meiner Person, zu vermiteln, WARUM Veränderungen in bestimmten Bereichen erforderlich sind.
Aus dieser Erfahrung kann ich aber auch sagen, dass Unsicherheit und Widerstand entstehen, auch wenn die Kommunikation noch so offen ist. Denn der Mensch ist per se erst einmal gegen die Unsicherheit, die immer mit Veränderungen verbunden ist. Vielmehr ist es m. E. unerlässlich, hier neben dem Marketing im Sinne des Projektes (Notwendigkeiten, Vorteile für alle etc.) auch Konsequenz walten zu lassen. Also die Betroffenen zu Teilhaben werden lassen, dann aber auch auf konsequente Umsetzung achten; immer und immer wieder. Mag ein Projekt noch so gut kommuniziert werden; ohne den festen Willen zu Umsetzung wird es versanden. Ich bin gespannt, wie es bei uns vorangehen wird.
Wer Lust hat, kann auf meinem kürzlich gestarteten Blog auf http://www.econdi.net vorbeischauen und sehen, wie so etwas in der Praxis abläuft. Natürlich freue ich mich auch über die eine oder andere Meinung.
Beste Grüße aus Berlin,
Rashid
am 20. July 2008 um 16:27 Uhr.
Hallo Rashid,
aus einem Vierteljahr Distanz gesehen, bin ich der Meinung, dass alle diese Fragen: a) was ist das Problem, b) was ist nicht optimal, c) warum verändern zur ersten Frage „Was verändern?“ gehören. Die „Situation zu erfassen“ führt fast immer dazu, zu erkennen, was verändert werden muss.
Allerdings ist es Fingerspitzengefühl, nicht gleich von Veränderung zu reden. Besonders dann, wenn man von aussen in eine Organisation hineinkommt, ist es richtig, zuerst die Organisation und ihre Probleme zu verstehen.
Goldratt meint, es gibt 6 Widerstandsschichten auf dem Weg zur Veränderung, die Schicht für Schicht überwunden werden müssen:
1. Unterschiedliche Auffassungen zum Problem
2. Unterschiedliche Auffassungen zur Lösungsrichtung
3. Unterschiedliche Auffassungen über die Wirksamkeit der Lösung
4. Befürchtung negativer Nebeneffekte
5. Befürchtung unüberwindbarer Hindernisse
6. Zweifel an der Mitwirkung anderer
Über Veränderung kann erst gesprochen werden, wenn Konsens über das Problem erzielt worden ist.
Ich wünsche Euch auf Eurem Weg alles Gute und bin gespannt auf weitere Erfahrungen und Anregungen.
Viele Grüße,
Paul
am 24. September 2008 um 16:11 Uhr.
Hallo zusammen,
bevor wir mit Lean loslegen müssen wir uns stets fragen:
What is our business problem?
Was möchten wir erreichen?
Oft fokusieren wir zu stark auf den reinen Symptomen und auch das Management bekommt selten erklärt, dass der ganze “Laden” krankt! Viel leichter lässt sich ein Symptom darstellen (Durchlaufzeit zu lange!) und eine (schnelle, auch “Quick Fix” genannte) Lösung finden.
Einziges Manko (wenn auch ein schwerwiegendes) ist, dass die schnelle Lösung meist (Neben-)Wirkungen hat, die nicht auf unserer Rechnung standen, da wir ja nur die Symptome betrachtet haben.
Ein wenig Geduld, tiefergehende Fragen (sprechen wir nicht stets von 5-Whys?) und dann kleine Experimente, die nicht gleich das komplette System erschüttern (=Action!).
Dann kann auch LEAN THINKING nachhaltigen Erfolg haben:-)
Schöne Grüße
Ralf
am 17. December 2008 um 12:09 Uhr.
Hallo zusammen,
Ich denke Ralf hat hier einen sehr wichtigen Punkt fast schon beiläufig genannt – der aber erfolgsentscheidend ist: kleine experimente.. oder sagen wir vielleicht pilotprojekte mit Leuchtturm-Charakter.
Die Lean-Prinzipien sind klar und basieren auf Hausverstand – wenn wir es schaffen mit “kleinen Inseln der Umsetzung” die Neugierde der Mitarbeiter zu wecken dann haben wir ein gutes Marketinginstrument. Und für den Change-Management Prozess ist Marketing das A und O.
schöne Grüsse
Peter