Spannungen

Paul.Bayer am 13. November 2010 um 19:50

Farbholzschnitt von Hokusai

Wie lösen sich Spannungen und verursachen so Veränderung und Wandel?

Erdbeben, gefrorene Kartoffeln und Staus

In seinem sehr lesenswerten Buch „Deep Simplicity“ beschreibt John Gribbin, wie die Bruchstücke gefrorener Kartoffeln, die Stärke von Erdbeben, die Länge von Verkehrs­staus … einer Potenzfunktion folgen:

Es gibt viele Wege wie Erdbeben über die Zeit verteilt sein können. Die meisten Erdbeben könnten sehr groß sein und sehr viel Energie abbauen, die sich dann erst über längere Zeit wieder aufbaut. Oder sie könnten alle klein sein und die Energie fast kontinuierlich abbauen … Oder sie könnten vollständig zufällig sein. Es macht keinen Sinn zu raten. Der einzige Punkt, es herauszufinden ist, die Aufzeichnungen über Erdbeben zu überprüfen und zusammenzuzählen, wie viele sich von jeder Stärke ereignet haben.

… Es gibt sehr viele kleine Erdbeben, sehr wenige große Erdbeben und die Anzahl dazwischen liegt für jede gewählte Größenordnung [in einer doppelt logarithmischen Darstellung] auf der Gerade zwischen den beiden Extrempunkten. Das bedeutet, dass die Größenordnung von Erdbeben aller Größenordnungen einer Potenzfunktion folgt – für 1000 Erdbeben der Stärke von 5 [auf der logarithmischen Richterskala] gibt es etwa 100 der Stärke 6, 10 Beben der Stärke 7 usw. [1]

Ich halte das für ein starkes Bild dafür, wie sich auch sozialer und ökonomischer Wandel vollzieht: Energie und Spannungen aus grundlegenden Konflikten lösen sich in diskreten Ereignissen und Aktionen der Beteiligten, die in der Zeit und über die wechselseitigen Abhängigkeiten die Dynamik vieler kleiner und weniger großer „Wellen“, „Lawinen“ und „Erdbeben“ entwickeln. Diese vielen Anzeichen und Symptome geben uns immer wichtige Hinweise auf tieferliegende Spannun­gen und Konflikte.

Blockaden auflösen und die Situation in Fluss bringen

Konflikte und Spannungen entstehen aus der Anwesenheit eines Constraints: aus einem Engpass oder Hindernis, einer falschen Auffassung oder Regel, die ein System in seiner Entwicklung behindern. Der zentrale Punkt im Constraint Management ist, den Constraint anhand der Konflikte und Spannungen zu erkennen und schritt­weise aufzulösen. So kommt die Situation in Fluss, die Energie wird kanalisiert und größere Verschiebungen und unerwünschte Ereig­nisse wie Krisen, „Erdbeben” usw. können vermieden werden – wenn man nur den Ursachen der Spannungen und Konflikte auf den Grund geht.

In diesem Punkt sind sich die EKS (engpasskonzentrierte Strategie) und die TOC (Theory of Constraints) einig. Wolfgang Mewes, der Schöpfer der EKS skizziert die Abhängigkeiten wie folgt: a) ein Engpass und der falsche Umgang damit führt zu b) Spannungen und Konflikten, die c) soziale Macht- und Abhängigkeits­verhält­nisse bedingen. Daraus entstehen d) soziale und individuelle Interaktionen und Verhältnisse. Diese manifestieren sich in den e) finanziellen Verhältnissen, die f) die wirtschaftlichen Handlungsspielräume bedingen. Diese begründen g) die technische Entwicklung, die ihrerseits h) die stofflichen Verhältnisse bestimmt [2]. Grundlegende Engpässe, Konflikte, Spannungen lösen also eine Fülle von Problemen sozialer, persönlicher, finanzieller, wirtschaftlicher, technischer und stofflicher Natur aus.

Gelingt es, einen grundlegenden Engpass und die daraus entstehenden Konflikte und Spannungen zu überwinden, dann lösen sich diese ganzen Probleme und ihre komplexen Abhängigkeiten in Luft auf. Das Lösen eines grundlegenden Engpasses führt daher zu Durchbruchsverbesserungen der Gesamtsituation. Dazu ist freilich Fokus auf den Engpass erforderlich.

[1]
[2]
vgl. Wolfgang Mewes: Das kybernetische System. in StrategieJournal 02-08, S. 9

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