Die „Gestalt“ der Theory of Constraints

Paul.Bayer am 22. June 2010 um 00:07

Beim Upgrade für die TOCICO in Las Vegas fasst Eli Goldratt die Paradigmen­wechsel der Theory of Constraints in drei Stufen und Pfeiler zusammen, die zugleich die Entwicklung, die Anwendung und Wirksamkeit der Theory of Constraints beschreiben:

Stufe Paradigmenwechsel
1. Operations Globaler Systemansatz statt lokalem Optimum
2. Strategie Schaffen eines entscheidenden Wettbewerbsvorsprungs und Entwickeln eines nachhaltig blühenden Unternehmens statt Konzentration auf die Wettbewerber.
3. Management Fokus des Managements auf das Nutzen und Entwickeln der Fähigkeiten, des Wissens und der Potenziale der Menschen und der Organisation statt auf Firefighting und Setzen immer neuer Einschränkungen.

Die drei Pfeiler bauen aufeinander auf: stabile Systeme sind die Voraussetzung für das Schaffen eines entscheidenden Wettbewerbsvorsprungs und für Wachs­tum. Die richtige Strategie und Positionierung ermöglicht es dem Management, sich auf die Entfaltung der ungenutzten Potenziale im Unternehmen zu konzentrieren.

Von Stufe zu Stufe neue Möglichkeiten

Jede der Stufen eröffnet weit mehr Entwicklungsmöglichkeiten als die vorher­gehende. Goldratt verdeutlicht dies am Übergang von Ebene eins zu Ebene zwei:

Die Strategie+Taktik-Bäume der TOC [1] enthalten die beiden Punkte 3.1) Aufbau und 3.2) Ausnutzen des entscheidenden Wettbewerbsvorteils. Der Übergang von 3.1 zu 3.2 beschreibt gleichzeitig den Übergang von Stufe eins zu zwei der TOC-Anwendung. Nehmen wir als Beispiel ein Unternehmen mit einem Umsatz von 100 Mio. Der Anteil des Rohmaterials am Verkaufspreis sei 50%, die genutzte Kapazität ebenfalls 50%.

3.1 Aufbau des entscheidenden Wettbewerbsvorteils: Das Umsetzen einer TOC Lösung wie DBR oder CCPM [2] führt zum Rückgang von Beständen, erhöhtem Kapitalumschlag, verringerten Überstunden …, alles in allem zu einem zusätzlichen Gewinn von 1-2 Mio (15-30% des Gesamtgewinns von ca. 6 Mio), zudem zu viel freiem Cash.

3.2 Ausnutzen des entscheidenden Wettbewerbsvorteils: Nutzt das Unter­nehmen die im vorhergehenden Schritt gewonnenen operativen Vorteile (kürzere Durchlaufzeiten, weit höhere Termintreue, Kapazitätsgewinne …) am Markt aus, kann es seinen Umsatz ohne zusätzliche Betriebsausgaben verdoppeln. Das bedeutet einen zusätzlichen Gewinn von 50 Mio (100 Mio Verkaufserlöse – 50 Mio Rohmaterialkosten). Das Potenzial der Stufe zwei der TOC-Anwendung ist also sehr viel höher als das der Stufe eins.

Goldratt sagt, dass dieser Übergang eines Unternehmens von Stufe eins zu zwei, von einer funktionalen zu einer ganzheitlichen Anwendung der TOC schwierig ist und einen wirklichen Phasenübergang bedeutet. Die Schwierigkeiten sollten nicht unterschätzt werden. Die Strategie+Taktik-Bäume helfen dabei, sie zu überwinden.

Neues Management

Eli Goldratt bemerkt, dass die Zeit dafür reif ist, mehr in den dritten Pfeiler der TOC zu gehen, in einen neuen Typ von Management. Das in den letzten 25 Jahren akkumulierte Wissen der Theory of Constraints zeigt, dass wir für diesen neuen Phasen­übergang vorbereitet sind [3]. Der neue Typ von Management besteht aus fünf Eckpunkten:

1. Die Leute beurteilen den Wandel: Die verbreitete Auffassung, dass die Leute grundsätzlich gegen Veränderung sind, ist falsch. „Leute beurteilen den Wandel” und unterstützen ihn, wenn sie zum Schluss kommen, dass er für sie von Vorteil ist.

Um Wandel in Organisationen zu ermöglichen, müssen Manager daher mehr mit den Leuten am Wandel arbeiten. Die Umsetzung der ersten zwei Pfeiler der TOC stabilisiert das System und gibt den Managern mehr Zeit für diese Aufgabe.

2. Managementattention auf den Wandel: Goldratt sagte, dass nach seiner Erfahrung „Managementattention der Constraint von Organisationen“ ist. Die Situation von Managern ist das extremste Beispiel für zerstörerisches Multitasking, das Überlastung, geringe Produktivität, Fehler, Ablenkung usw. bewirkt. Die erforderliche Verschiebung in den Managementaufgaben muss organisiert und begleitet werden. Die Strategie+Taktik-Bäume der Theory of Constraints beschreiben, worauf sich Manager konzentrieren müssen und was sie nicht tun sollten und reduzieren daher das Multitasking.

3. Kommunikation des Wandels: Wenn Manager mit ihren Leuten über Veränderung sprechen, dann sollten sie darüber sprechen, was zu tun ist, was damit erreicht werden soll, warum es notwendig ist, genau das zu tun, wie es getan werden soll und wie damit das angestrebte Resultat erreicht werden kann. Sie müssen dabei ihren Leuten zeigen, welchen Beitrag ihre Aktionen zum Ziel des Unternehmens leisten, was die nächsten Schritte sind. Das sind aber genau die Inhalte der S+T-Bäume [1]. Der Dialog der Manager mit ihren Leuten auf dieser Basis vertieft sowohl ihr Wissen und das Vertrauen in die Strategie und Taktik als auch den gegenseitigen Respekt mit ihren Leuten.

4. Managementaudit: Eli Goldratt hat bei dem Upgrade eine neue, bisher fehlende Methode im TOC-Denkprozess vorgestellt: Ein regelmäßig (etwa alle drei Monate) vom Management durchgeführtes Audit vergleicht die Strategie und Taktik mit der sich entwickelnden wirklichen Situation und untersucht mögliche Abweichungen. Dann kann die Strategie und Taktik entsprechend angepasst werden. Das Audit synchronisiert die wirkliche Situation mit der Strategie und Taktik und reduziert Konflikte und Abweichungen und mögliche Stillstände der Umsetzung.

5. Sinn und Zweck: Die Leute möchten mit ihrer Arbeit etwas sinnvolles beitragen. Oft sind in Organisationen aber Mechanismen am Werk, die es den Mitarbeitern schwer machen, einen sinnvollen Beitrag zu leisten. Diese sogenannten Mecha­nismen der Disharmonie (engines of disharmony) sind [3]:

  1. nicht zu wissen, was mein Beitrag zum Unternehmen ist;
  2. nicht zu wissen, was der Beitrag der Leute, mit denen ich zusammenarbeite, zum Unternehmen ist;
  3. Konflikte im Unternehmen und Kompromisse, die sie fortschreiben;
  4. Leute dazu zu zwingen, vollkommen sinnlose Arbeiten auszuführen;
  5. Widersprüche zwischen Zuständigkeit und Verantwortlichkeit.

Die Aufgabe der Manager ist es, diese Hindernisse zu beseitigen. Die S+T-Bäume und die Konfliktwolke der TOC geben ihnen einen Prozess an die Hand, um diese Mechanismen der Disharmonie im Unternehmen systematisch und auf allen Ebenen zu eliminieren. So können die ungenutzten Potenziale im Unternehmen freigesetzt werden.

Eli Goldratt empfiehlt, die „Gestalt“ [5] der Theory of Constraints von Anfang an zu verdeutlichen und mit den Punkten für das neue Management bereits in frühen Implementierungsphasen von TOC anzufangen, um damit die Basis für die jeweils nächsten Schritte zu verbessern. Das eigentliche Potential dieser Punkte wird aber dann frei, wenn die ersten zwei Pfeiler Stabilität im Unternehmen geschaffen haben, das Management vom Firefighting entlasten und es ihm erlauben, sich auf die Entwicklung der Potenziale der Leute und der Organisation zu konzentrieren.

[1]
[2]
DBR (Drum-Buffer-Rope) ist die TOC Produktionslösung. CCPM (Critical Chain Project Management) ist die Lösung für Projekte.
[3]
dieses Wissen ist jetzt exzellent in dem neu erschienenen Handbuch der TOC dokumentiert. vgl. dazu Cox, Schleier: Theory of Constraints Handbook; McGraw Hill, 2010
[4]
vgl. dazu den früheren Beitrag Harmonie
[5]
Goldratt gebraucht den deutschen Begriff „Gestalt“.

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