Systeme verstehen mit Cynefin

Paul.Bayer am 1. March 2010 um 22:10

Cynefin (sprich Künéwin) ist ein altes walisisches Wort für Lebensraum. Dave Snowden von Cognitive Edge verwendet es für ein enorm praktisches Modell [1], das uns den Umgang mit Systemen erleichtert. Das Cynefin-Modell erlaubt es uns, verschiedene Typen von Systemen zu unterscheiden und dafür passende Entscheidungen zu treffen.

Basis des Cynefin-Rahmens sind die Systeme, mit denen wir es in unserem täglichen Leben, privat und öffentlich zu tun haben. Dabei können wir zunächst vier Arten unterscheiden:

    Das Cynefin-Modell in Symbolen

  • einfache Systeme sind geordnet und unterliegen allgemein bekannten Ursachen und Wirkungen.
  • viele unserer technischen Systeme sind kompliziert, da sie viele Elemente und Beziehungen beinhalten, die nicht für jedermann ersichtlich sind. Wir benötigen Experten, um sie zu analysieren.
  • komplex sind offene und lebendige Systeme wie Lebewesen und Organisa­tionen. Ursachen und Wirkungen sind nur teilweise bekannt. Sie unterliegen Zeitverzögerungen, Nichtlinearitäten und Rückkopplungen. Sie haben eine Geschichte und sind nicht reversibel. Man kann sie nicht auseinandernehmen und wieder zusammensetzen. Sie zeigen charakterische Eigenschaften und Muster, aber sind instabil (oder metastabil) und nicht vorhersagbar.
  • chaotische Systeme weisen hohe Unsicherheit und Turbulenz auf. Alles kann sich von Moment zu Moment ändern. Sie sind nur schwer abzugrenzen. Es ist schwierig, Muster zu erkennen. Kleinste Wirkungen können große und unvorhersehbare Auswirkungen haben.

Die fünfte, innere Domäne im Cynefin-Modell ist die Unordnung, was bedeutet, dass wir (noch) nicht wissen, welcher der vier Hauptdomänen wir ein System oder Problem zuordnen können.

Die Grenzen zwischen den vier Domänen der Cynefin-Struktur sind fliessend [2]. Sie hängen auch von unserer Sichtweise und Einsicht [3] in diese Systeme und Zustände ab, und es wird Aspekte und Elemente geben, bei denen eine Zuordnung schwer fällt. Die Cynefin-Struktur dient auch der Konsens- und Sinnstiftung über eine Situation oder Problemstellung. Innerhalb einer komplexen Problemstellung oder in Organisationen werden wir unterschiedliche Aspekte verschiedenen Cynefin-Domänen zuordnen.

Das Cynefin-Modell

Handlungsstrategien

Weshalb solten wir überhaupt solch eine Zuordnung vornehmen? Der Grund dafür ist pragmatisch: die unterschiedlichen Typen von Systemen und Problemstellun­gen erfordern verschiedene Ansätze und Strategien:

  • Für einfache Systeme kann leicht beurteilt werden, was zu tun ist. Sie können mit einem Kontrollansatz gesteuert werden.
  • Komplizierte Systeme müssen analysiert werden, um einen geeigneten Ansatz zu finden. Hier müssen entsprechend kompliziertere Analysetechni­ken und Expertenteams eingesetzt werden.
  • Komplexe Systeme oder Situationen erfordern experimentelles und umsich­tiges Vorgehen möglichst mit parallelen Versuchen, um Einsichten zu gewinnen und praktische Ansätze zu finden. Hier müssen die Bedingungen für Lernen geschaffen werden, aus dem sich dann neue praktische Erkenntnisse entwickeln.
  • Chaotische Systeme oder Situationen erfordern sofortiges Handeln, um das System in eines der anderen Felder zu bringen. Handeln in chaotischen Situationen erfordert viel Intuition und Erfahrung.

John Boyds OODA-Schleife

Hier liegt der größte Nutzen des Cynefin-Modells: es fordert uns auf, uns zu orientieren und zu hinterfragen, ob unsere Ansätze für ein bestimmtes System oder eine gewisse Problem­stellung geeignet sind. Es ermöglicht, aus einer Situation Sinn zu machen und einen adäquaten Ansatz zu finden. Daraus ergibt sich die grundsätzliche Vorgehensweise nach dem Cynefin-Modell: beobachte und erfasse die Situation, treffe eine Entscheidung über die richtige Vorgehensweise, Handle. Die Anwendung des Cynefin-Modells führt zu einem besseren Umgang mit Systemen. Dazu bald noch mehr auf wandelweb.de.

[1]
Das Cynefin-Modell wurde ursprünchlich bei IBM entwickelt. vgl. David J. Snowden and Mary E. Boone: A Leader’s Framework for Decision Making und C. F. Kurtz and D. J. Snowden: The new dynamics of strategy: Sense-making in a complex and complicated world
[2]
Die Grenze zwischen einfach und chaotisch ist als „Falte“ dargestellt, um zu verdeutlichen, dass der Übergang eines einfachen Systems ins Chaos oft Züge einer Katastrophe oder eines plötzlichen Kollaps annimmt. Einen direkten Rückweg aus dem Chaos gibt es meistens nicht. Eher dann einen Weg über die komplexe Domäne.
[3]
Z.B. bedeutet Feuer für einen erfahrenen und richtig ausgerüsteten Feuerwehrmann etwas anderes als für den Normalbürger. Ein kompliziertes Problem kann für einen Experten einfach sein. Ein einfaches Problem kann, wenn eine z.B. Belastungsgrenze überschritten wird, schnell ziemlich komplex werden.

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