Drei Arten des Wissens

Paul.Bayer am 13. February 2010 um 09:00

Erleben Sie manchmal Folgendes:

  • Sie können interessante Bücher in Zeitabständen zur Hand nehmen und entdecken jedesmal wieder Neues oder haben das Gefühl, Dinge zu verstehen, die Sie vorher nicht verstanden hatten.
  • Bei jedem neuen Problem haben Sie den Eindruck wieder von vorne anfangen zu müssen.
  • Manchmal müssen Sie Fehler mehrmals machen, bevor Sie sie wirklich erkennen und korrigieren können. Denken Sie dann, dass Sie alles auf die „harte Tour“ lernen müssen?
  • Erklären oder Lehren ist noch schwieriger als lernen. Erklären oder zeigen Sie Leuten Dinge, die Ihnen völlig klar erscheinen, aber sie können sie nicht verstehen oder sehen?
  • Fragen Sie sich in diesen Tagen von Toyotas Schwierigkeiten, wie wir synchrone Produktion irgendwo sonst umsetzen können, wenn selbst Toyota damit Probleme hat [1]?

Ich stelle mir manchmal diese Fragen. Wie geht es Ihnen damit? Haben Sie Antworten darauf?

Vom verkörperten zum abstrakten Wissen

Etwas Licht ins Dunkel bringt ein elegantes Modell, das Dave Snowden von Cognitive Edge veröffentlicht hat [2].

Drei Arten des Wissens von Biosot und Snowden

Wissen ist der Fluss des Lernens. Es umfasst die physische und sinnliche Aktion und Erfahrung, das Erzählen und Verarbeiten dieser Erfahrungen und das Ausbilden von Konzepten und Theorien. Das abstrakte Wissen wird wieder in situationsgerechte Handlungsskripte übersetzt, die sich dann in konkreter Praxis niederschlagen. Die Aktionen und Erfahrungen muss jeder selbst machen, sie sind implizit und persönlich. Freilich fällt es leichter im Team oder durch Beobachten und Nachmachen zu lernen. Aber das ist auch nur eine Brücke zur eigenen Erfahrung.

  1. das abstrakte Wissen liegt teilweise in Form von Büchern, Beschreibungen, Methoden, Theorien vor, die aus erzählten oder erzählbaren Erfahrungen gebildet wurden.
  2. das erzählende Wissen ist kontextbezogen und enthält Beispiele, „Stories“, was wir in dieser oder jener Situation gemacht und erlebt haben oder Anleitungen und Prozesse wie wir eine Hypothese, Methode etc. anwenden und umsetzen können. Das erzählende Wissen ist in den Köpfen der Leute und kann durch konkrete Fragestellungen aktiviert werden. Das ist auch die Domäne von Training, Coaching und Mentoring. Es ist ein erzählender Austausch von Erfahrungen.
  3. Das verkörperte Wissen sind die konkreten Aktionen, Bewegungen, Wahr­nehmungen und Empfindungen, die unmittelbaren Erfahrungen, die wir erleben und nur teilweise überhaupt in Worten ausdrücken können. Das ist das „handfeste“ Sachen-machen (jap. Monozukuri).

Das Herz einer Organisation oder Persönlichkeit liegt im verkörperten Wissen. Zugang zu diesem Wissen bieten nur der Dialog, also der lebendige Austausch von erzähltem Wissen und die Praxis. Abstraktes Wissen wie etwa eine logische Erklärung heisst noch nicht, dass sich die Leute darunter etwas konkret vorstellen können oder es gar anwenden können. Taiichi Ohno sagte:

„Einhundertmal hören ist weniger gut als einmal sehen. Einhundertmal sehen ist weniger gut als einmal tun.”

„Verstehen heisst handeln”.

Wenn wir jetzt noch berücksichtigen, dass wir etwas immer wieder wiederholen müssen, um es zu lernen und um unsere Denk- und Handlungs­muster zu verändern, dann haben wir erste Antworten auf die eingangs gestellten Fragen.

Viel von dem, was wir mit schlanker Produktion, Kundenorientierung, Engpass­management usw. bewirken können, läuft gängigen Praktiken und Erfahrungen zuwider. Umso mehr Respekt müssen wir vor den Schwierigkeiten derer haben, die diesen Weg gehen und dieses Wissen lernen, verbreiten und entwickeln.

[1]
[2]
vgl. Narrative as mediator. Dieses Modell ist eine nützliche Darstellung eines länger bekannten Konzepts. Zum Beispiel ist die 4-Stufen-Methode der Unterweisung (Job Instruction, TWI-JI) eine Anwendung.

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