Toyotas Debakel
Paul.Bayer am 7. February 2010 um 09:01Letzten Freitag gab Akio Toyoda, Präsident von Toyota eine internationale Pressekonferenz und verbeugte sich tief, um sein Bedauern über die Rückrufe auszudrücken.
Toyotas Kunden und Mitarbeiter, aber auch viele Bewunderer des Toyota Produktionssystems und des Toyota Wegs sind verunsichert über die aktuellen Entwicklungen. Auch wenn es teilweise schwierig ist, sich aus den Vorgängen einen Reim zu machen, frage ich mich, was man daraus lernen kann.
Sudden Acceleration und die Fakten
Das Thema wird in den USA als Sudden Acceleration behandelt. In der Tat entspricht es dem Albtraum eines Autofahrers, dass ein Fahrzeug ohne Zutun beschleunigt und sich dann nicht abbremsen lässt. Die berichteten Fälle lassen auf drei verschiedene Themen schließen:
- verklemmte Fußmatten [1],
- klemmende Pedale [2],
- selbständige Beschleunigung [3].
Für die ersten beiden Themen hat Toyota Rückrufe ausgelöst. Das dritte Thema ist noch offen. Neuestens wird über Probleme an der Prius-Bremse berichtet [4]. Was kommt als nächstes?
Das Medienecho ist sehr hoch. In der Internetzeit werden Informationen in der Öffentlichkeit sehr viel schneller verbreitet als sie in einem Unternehmen verarbeitet werden. Allerortens werden jetzt Geschichten über Fehlfunktionen an Toyota-Fahrzeugen ausgegraben. Was bis vor kurzem noch als zuverlässig galt, erscheint nun höchst bedenklich. Leute, deren Angehörige in Verkehrsunfälle verwickelt waren, strengen Prozesse an. Die Rückrufe und Entschuldigungen Toyotas bekräftigen die Kritiker. Ein Ende dieser Eskalation ist derzeit nicht in Sicht. Es braut sich ein gefährliches Gemisch aus Fakten, Halbwahrheiten, Interessen, Ängsten zusammen. Der Absatz an Toyota-Fahrzeugen bricht ein …
Wie ist so etwas möglich? Wie kann ein für seine Perfektion bewundertes Unternehmen so schnell und so tief in ein solches Chaos geraten?
Nichts ist unmöglich – Schwächen der Perfektion
Dass Toyota die Kundeninteressen lange Zeit stärker berücksichtigt hat als die meisten anderen Unternehmen der Branche, ist kaum in Frage zu stellen. Kern von Toyotas Erfolg war es, dem Kunden ein besseres Produkt zu bieten. Dadurch werden die Erwartungen der Kunden an das Produkt und die Marke immer höher. Die Erwartungen müssen durch Innovation erfüllt werden. Technische Klasse und Zuverlässigkeit haben ihre Grenzen. Es erfordert konstante Anstrengungen, die geweckten Erwartungen zu erfüllen. Der Aufwand, für alle Eventualitäten zu sorgen, wird immer höher.
Deswegen nehmen der Druck und der Sparzwang zu. Hier hat Toyota starke Anstrengungen unternommen. Die erreichte Standardisierung der Komponenten bedeutet jetzt, dass gleich mehrere Modelle und Werke vom Rückruf betroffen sind. Probleme bekommen so ein gigantisches Ausmaß [4]. Das erleichtert den Problemlöseprozess nicht. Umgekehrt ist ein hoher Aufwand nötig, um die Kunden und das Unternehmen gegen mögliche Risiken aus Gleichteilen abzusichern.
Verlust des Wettbewerbsvorsprungs
Toyota hatte zusammen mit anderen japanischen Herstellern einen deutlichen Wettbewerbsvorsprung bei Qualität und Zuverlässigkeit von Automobilen erreicht. Die restlichen Hersteller haben daraufhin Anstrengungen unternommen, um aufzuschließen. Und der Vorsprung der Japaner ist wieder zusammengeschrumpft. Aus dem stärkeren Wettbewerb in diesem Bereich folgt ein höherer Maßstab, dem jetzt alle genügen müssen.
Toyota andererseits hat seine Anstrengungen in den letzten Jahren auf Volumenwachstum verlagert. In der Folge ist es in Qualität und Zuverlässigkeit zurückgefallen. Dadurch hat es seinen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung verloren ohne einen neuen aufzubauen (z.B. um den Hybrid). Das Zurückfallen Toyotas bei Qualität und Zuverlässigkeit wurde über mehrere Jahre beobachtet und von Toyotas früherem Präsidenten 2007 erstmals eingeräumt und als Warnsignal dargestellt [5]. Seine aggressiven Wachstumsziele hat Toyota so nicht erreicht. Seinen Ruf als Branchenprimus hat es aber zunächst behalten [6].
Die aktuellen Entwicklungen können nun dazu führen, dass Toyota seinen guten Ruf verliert und nur noch als einer unter den anderen Automobilherstellern gilt. Der Weg an die Spitze ist mühselig, aber schneller verspielt.
Das Fazit ist hier, dass ein Unternehmen seine operative Exzellenz in einen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung umsetzen muss. Es muss die Bedürfnisse seiner Kunden deutlich und konsistent besser erfüllen als seine Wettbewerber, wenn es nicht deren Schicksal erleiden will.
Wie weiter?
Jetzt hängt alles davon ab, ob Toyota wieder auf seine Stärken baut und seine Kundenorientierung und seinen Vorsprung zurückgewinnt [7]. Momentan sehen wir Firefighting. Es wird noch eine Weile dauern bis wir eine neue Strategie sehen. Toyota wird eine Zeitlang mit sich selbst beschäftigt sein, und wir werden vermutlich noch weitere schlechte Nachrichten hören.
Die Lean-Gemeinde muss lernen, mehr auf eigenen Füßen zu stehen und kann sich weniger an Toyota orientieren [8]. Das ist nicht schlecht. Das wird die Spreu vom Weizen trennen. Das könnte einige zum Nachdenken bringen. Das könnte die Augen öffnen für neue Ansätze wie TOC oder Agile. Aus dem Toyota-Debakel gibt es einiges zu lernen, über den Zweck eines Unternehmens, über Fokus, entscheidenden Wettbewerbsvorsprung, den Übergang zwischen Stabilität und Chaos, über die Risiken des Sparens usw.
Wenn wir unsere Lektion lernen, dann wird sie gut gewesen sein. Der erste Schritt ist, die zu klärenden Fragen herauszuarbeiten. Wir sollten dabei sorgfältig sein und nicht wieder schnell zur Tagesordnung übergehen.