Minimumgesetz und S-Kurven

Paul.Bayer am 30. December 2009 um 16:48

S-Kurven sind bekannt und üblich, um Produktlebenszyklen darzustellen.

Der Produktlebenszyklus als S-Kurve

Natür­liche Wachstums- und Diffusionsprozesse, Epidemien, Wirtschaftszyklen … folgen S-Kurven. In all diesen Fällen liegen zwei gegenläufige Dynamiken vor:

  1. eine verstärkende Rückkopplung, die das Wachstum bewirkt,
  2. eine balancierende Rückkopplung, die für das Abbremsen sorgt. [1]

Die balancierende Rückkopplung wird durch den Minimumfaktor oder Engpass bestimmt. Mit zunehmendem Wachstum wird er immer knapper und bringt schließlich das Wachstum zum Stillstand.

Im einem einfachen System-Dynamics-Modell [2] habe ich ein geschlossenes System für das Wachstum einer Pflanze simuliert. Die Pflanze wächst in einem Substrat, in dem drei Nährstoffe in unterschiedlichen Konzentrationen vorliegen, die unter­schiedlich schnell absorbiert werden können. Die Pflanze braucht diese Nährstoffe zu bestimmten Anteilen. Bei Knappheit eines Nährstoffes kann die Pflanze auch die anderen Nährstoffe entsprechend langsamer aufnehmen.

Ein vereinfachtes System-Dynamics-Modell für Pflanzenwachstum

Stagnation trotz Überschuss an Ressourcen

Die Simulation zeigt, dass das Pflanzenwachstum S-förmig verläuft. Nährstoff 1 ist der Minimumfaktor. Obwohl er in der geringsten Menge benötigt wird, bringt er das Pflanzenwachstum zum Erliegen. Das zeigt uns, dass auch sehr kleine Faktoren zum Engpass werden können.

Die Simulationsergebnisse für das SD-Modell

Die anderen Faktoren (Nährstoffe 2 und 3) sind im Überschuss vorhanden. Wenn wir jetzt diese anderen Faktoren reduzieren (Effizienzprogramm), wird die Pflanze nicht schneller wachsen. Im Gegenteil riskieren wir, das Pflanzenwachstum noch weiter einzuschränken [3]. Entgegen dem gängigen Verständnis haben Effizienz­programme ohne gleichzeitiges Engpassmanagement also kaum, oft sogar gegen­teilige Wirkungen.

Die einzig richtige Methode für effektiven Mitteleinsatz ist, unserer „Pflanze“ mehr von Nährstoff 1, dem Engpassfaktor zuzuführen. Durch gezielten Fokus auf den Engpass kann also auch für bestehende Produkte mit kleinem Aufwand Verblüffendes bewirkt werden. Ohne gezieltes Engpassmanagement können bestehende Produkte (Pflanzen, Lebewesen) ihre Wachstumspotenziale meistens nicht ausschöpfen. Allerdings ist es oft nicht ganz leicht, den jeweiligen Engpass­faktor zu entdecken.

Engpassmanagement und Unternehmensstrategie

Produkte haben wie Populationen natürliche Wachstumsgrenzen, die erreicht werden, wenn der Bedarf gesättigt ist. Sicher lassen sich durch Verbesserungen und partielle Innovationen die Wachstumsgrenzen verschieben, aber nur einge­schränkt und mit immer mehr Aufwand.

Innovationen machen das Wachstum von Unternehmen unabhängig von einzelnen Produktlebenszyklen.

Der richtige Weg für Unternehmen ist also, sich nicht endgültig auf ein bestimmtes Produkt festzulegen, sondern sich und die Produkte an den langfristigen Grundbedürfnissen ihrer Kunden auszurichten. Innovation bedeutet hier, neue und andersartige Produkte und Dienstleistungen anzubieten, die bisher noch nicht angeboten werden und damit neue Nischen und Märkte eröffnen. Engpass­management erstreckt sich also auch auf die Unternehmensstrategie.

[1]
Peter Senge hat diese Dynamik als einen der grundlegenden „Systemarche­typen“ bezeichnet: Grenzen des Wachstums. Er stellt diese Dynamik als CLD (Causal Loop Diagramm) dar. Gene Bellinger hat auf seiner systemswiki.org eine erweiterte Darstellung mit Stock & Flow-Diagrammen wie ich sie in meinem Modell verwende.
[2]
Das SD-Modell kann hier (mit der rechten Maustaste) heruntergeladen werden und lässt sich mit Vensim PLE (Personal Learning Edition) ausführen, das frei für private Nutzung ist.
[3]
Hier stoßen wir auf das sogenannte Optimumgesetz, das von 1895 von Georg Liebscher in Ergänzung zum Minimumgesetz formuliert wurde: „der Minimum­faktor ist um so stärker ertragswirksam, je mehr die anderen Faktoren im Optimum sind“. Das bedeutet, dass sich die Knappheit anderer Ressourcen negativ auf die Nutzung des Minimumfaktors auswirkt. Die anderen Faktoren müssen im Überschuss vorliegen, damit der Engpass optimal ausgenutzt werden kann.

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