Hebelpunkte
Paul.Bayer am 22. December 2009 um 18:16Warum erreichen einige Menschen und Organisationen mit geringerem Aufwand wesentlich mehr als die meisten anderen? Wir neigen dazu, die Ursachen in ihren Eigenschaften zu suchen. Aber es kommt der Wahrheit meistens näher, wenn wir sehen, dass sie ihre Stärken auf die Hebelpunkte ihres Systems konzentrieren.
Wo liegt der Archimedische Punkt?
Archimedes hat die Hebelgesetze formuliert und sagte angeblich: „Gebt mir einen festen Punkt im All und ich heble euch die Welt aus den Angeln.“ Aber zum Glück konnte ihm keiner diesen Punkt geben. Der gute Archimedes ist Teil dieser Welt geblieben und die Welt zieht immer noch ihre Bahn um die Sonne.
Aber der Umkehrschluss des Archimedischen Punktes bedeutet, dass ein System einen Anstoß „von außen“ benötigt, um in Bewegung zu kommen. Manager sind Teile des Systems, das sie in Bewegung bringen müssen. Aber das System braucht einen Anstoß von außen. Wie löst man diesen Widerspruch?
Um unsere Systeme voran zu bringen, verwenden wir deshalb meistens Ansätze wie Kennzahlen, neue Technologie oder Methoden oder neue Köpfe … Aber meistens hilft das trotz Kraftanstrengungen nicht viel. Alle diese Ansätze versuchen, etwas „von aussen“ in das System (Black Box) hineinzubringen.
Exzellente Unternehmen intervenieren an den richtigen Punkten im System. Sie erreichen entscheidende Vorteile mit einem besonderen Kundennutzen, anderen Marktregeln, Einbindung der Mitarbeiter, einem System der ständigen Verbesserung, ganzheitlicher Supply-Chain-Optimierung … Sie verändern die Funktionsweise ihres Systems und die Art und Weise, wie es mit der Umwelt kooperiert. Ihr archimedischer Punkt ist ihr Wissen von ihrer Organisation als System. Er erlaubt es ihnen, das System quasi von außen zu betrachten und so die richtigen Hebelpunkte im System zu finden und zu benutzen. Dafür ist sowohl Systemwissen als auch konkrete Beobachtung am Gemba erforderlich.
Die zwölf Interventionspunkte
Donella Meadows hat 1999 in Ihrem Papier „Places to Intervene in a System” [1] zwölf Hebelpunkte beschrieben. Sie hat die Punkte rückwärts nummeriert, um zu zeigen, welche von ihnen größere Hebelwirkung besitzen.
- Kennzahlen – Konstanten und Parameter: Ziel- und Meßgrößen, um das System in eine bestimmte Richtung zu bringen.
- Puffer – stabilisierende Bestände: Systeme mit größeren Puffern relativ zu ihren Durchsatzgrößen verhalten sich träger und stabiler, aber sie sind gleichzeitig unflexibler und weniger anpassungsfähig.
- Puffer-Fluss-Strukturen: die physikalische Struktur eines Systems hat einen großen Einfluss darauf, wie es arbeitet, aber sie ist meist schwer zu ändern.
- Zeitverzögerungen sind Ursachen für Oszillationen und Instabilität. Sie sind teilweise physikalisch bedingt und dann nicht leicht zu ändern. Wir müssen sie also nach ihren Ursachen unterscheiden.
- Balancierende Rückkopplungsschleifen haben eine korrigierende Wirkung auf Systeme und können für Stabilität sorgen aber auch Veränderung behindern. Klare Signale hingegen können die Reaktionsgeschwindigkeit und Genauigkeit eines Systems erhöhen.
- Verstärkende Rückkopplungsschleifen sind Quellen von Wachstum, explosiven Entwicklungen, Erosion und Kollaps in Systemen. Sie müssen vorsichtig behandelt werden, können aber eine mächtige Wirkung entfalten.
- Informationsflüsse bestimmen, wer Zugang zu Information hat. Fehlende oder falsche Information ist Ursache für das Versagen balancierender Rückkopplung oder das Entstehen kritischer verstärkender Rückkopplung
- Regeln bestimmen, welches Verhalten belohnt oder bestraft wird. Physikalische Regeln bestimmen, was geht und was nicht geht. Macht bedeutet, die Regeln bestimmen zu können.
- Selbstorganisation bedeutet, in einem (Sub-)System alle untergeordneten Aspekte (5-12) dieser Liste verändern zu können. Selbstorganisierende Systeme sind eine Quelle von Vielfalt, Kreativität und Evolution für das Gesamtsystem.
- Ziel, Zweck und Funktion eines Systems bestimmen, wie es arbeitet, welche Ziele sich die Subsysteme setzen, welche Selbstständigkeit sie besitzen. Die Macht über die Ziele eines Systems ist der über die Organisation und ihre Regeln übergeordnet.
- Paradigmen bestimmen die Denk- und Handlungsmuster der Akteure in einem System. Macht über Paradigmen entsteht dann, wenn man sie sichtbar macht und ihre Annahmen offenlegt. Dann werden die Voraussetzungen geschaffen, sie zu verändern.
- Paradigmen überschreiten können oder auch trauen sich nur wenige. Aber diese haben die Möglichkeit, große Entdeckungen zu machen und enorme Veränderungen zu bewirken.
Es gibt also mehr Hebelpunkte als die, die wir üblicherweise benützen. Höherwertige Hebelpunkte sind aus Stabilitätsgründen nicht leicht zugänglich. Aber sie sind da, oft vor unseren Augen ohne dass wir sie sehen. In einer Krisensituation fangen wir oft an, diese Hebelpunkte zu benützen und wundern uns dann, was wir alles bewegen können.
Fokussierung
Eine Organisation muss jetzt nicht buchstäblich „alle Hebel in Bewegung setzen“, um voran zu kommen. Meist sind es nur wenige dieser Punkte – die Engpässe –, die die Leistungsfähigkeit einer Organisation einschränken. Wenn wir sie erkennen und unsere Kräfte auf diese Punkte fokussieren, können wir enorme Wirkungen erzielen. Wie wir sie erkennen und benutzen, dazu bald mehr auf wandelweb.de.
PS: Die Idee für die Darstellungen der Hebelpunkte habe ich vom Kallokain-Blog von Henrik Martenson. Für die Grafiken habe ich „Screen Beans Art © A Bit Better Corporation“ benutzt.