Organisatorisches Klima für Lernen
Paul.Bayer am 11. December 2009 um 07:14Peter Senge hat 1990 mit seinem Buch „Die fünfte Disziplin“ den Begriff der lernenden Organisation geprägt. Buch und Idee wurde von vielen begeistert aufgenommen. Aber wie viele lernende Organisationen sind seither entstanden? Wird nicht das Lernen in den meisten Organisationen eher stiefmütterlich behandelt? Ist Lernen für einzelne Mitarbeiter eher zum Vorteil oder zum Nachteil? Woran hapert es beim Entwickeln einer lernenden Organisation [1]?
Stabilität und Lernen
Damit sich eine Organisation entwickeln kann, muss sie sowohl stabil als auch veränderungsfähig sein. Daraus folgt der folgende organisatorische Widerspruch, den ich hier als TOC-Konfliktwolke darstelle [2]:
Auf der einen Seite benötigt eine Organisation akzeptierte Regeln und Verfahrensweisen – und verfügt über besondere Mechanismen, um sie durchzusetzen. Auf der anderen Seite müssen diese Regeln in Frage gestellt werden, um zu lernen. Wenn eine Organisation diesen Widerspruch nicht löst, entsteht daraus ein Systemkonflikt, ein „Antrieb für Disharmonie“ (engine of disharmony). Er führt dazu, dass Regeln nicht akzeptiert werden, dass sich Leute nicht trauen, sinnvolle Entscheidungen zu treffen, dass Leute, die lernen und neue Ideen einbringen, als Außenseiter behandelt werden, dass Lernen oder Regeln gepredigt werden aber etwas ganz anderes gelebt wird usw.
Formulieren und hinterfragen wir die Annahmen hinter diesem Konflikt, um Ansatzpunkte zu seiner Lösung zu finden [3]:
Aber: Sinn und die Herkunft vieler Regeln sind nicht transparent und müssen hinterfragt werden, um verstanden und gelebt zu werden! In vielen Fällen sind diese Regeln und Verfahren im Fluss oder müssen erst geschaffen werden!
Falsch: Auf richtige Weise hinterfragt kann ein besseres Verständnis der Regeln und ein stärkerer Konsens darüber entstehen. Regeln, die hinterfragt werden, können aktueller gehalten werden und werden daher eher akzeptiert.
Die Annahme, dass Regeln und Verfahren nicht hinterfragt werden dürfen, damit sie eher akzeptiert werden, hält einer Überprüfung nicht stand. Die Lösungsrichtung für diesen Konflikt besteht darin, einen Prozess zu gestalten, in dem diese Regeln und Verfahren regelmäßig so hinterfragt werden, dass ihre Aktualität, Relevanz und Akzeptanz steigt.
Es muss also eine Regel oder einen Regelprozess geben, nach dem die Regeln und Verfahren der Organisation in Frage gestellt werden. Da eine Organisation aus Menschen besteht und letztendlich nur die Menschen lernen, muss dieser Regelprozess für alle Gliederungen und alle Mitglieder der Organisation gelten.
PDCA als Methode der lernenden Organisation
Seit Newton haben die Naturwissenschaften einen beispiellosen Lernprozess erlebt. Sie konnten den Widerspruch des organisatorischen Lernens mit der wissenschaftlichen Methode lösen:
Organisationen, die den PDCA-Zyklus anwenden, übernehmen die wissenschaftliche Methode für ihre Regeln und Verfahrensweisen. Eine Regel und Verfahrensweise ist einfach die bestbekannte Methode (BBM) zur Durchführung einer Aufgabe. Diese Methode wird in der Organisation als neuer Maßstab (Standard) verbreitet, verbunden mit der Aufforderung, eine noch bessere zu finden. Solange aber keine bessere Methode bekannt ist, akzeptieren alle in der Organisation die BBM als gültige Regel und Verfahrensweise.
Wie die Naturwissenschaften haben „lernende Organisationen“ Regeln und Verfahrensweisen, die jahrzehntelang Bestand haben und nicht gebrochen werden. Aber sie gelten trotzdem nicht als endgültig. „Lernende Organisation“ bedeutet also nicht, dass keine Regeln gelten oder dass zu jedem Zeitpunkt alle Regeln infrage gestellt werden.
Um ihre Lernprozesse zu beschleunigen, müssen Organisationen auf Basis der wissenschaftlichen Methode weitere Lösungen entwickeln, zum Beispiel eine regelmäßige Überprüfung der Verfahren oder ehrgeizige Ziele für neue Projekte, zu deren Erreichung bisherige Verfahren und Regeln in Frage gestellt werden müssen, Fokussierungsprozesse, Kaizen, Management-Studiengruppen, „Benchmarking“ usw. Solche und viele andere Beispiele finden sich z.B. in den Produktions-, Entwicklungs- und Managementsystemen von Toyota.
Wie wissenschaftlicher Fortschritt ist organisatorisches Lernen kein selbstlaufender Prozess. Er muss ständig und immer wieder auf ein neues Niveau gebracht werden. Der PDCA-Zyklus darf nie zum Stillstand kommen.