Ursache und Wirkung

Paul.Bayer am 30. July 2011 um 18:18

Neulich, in einem Vortrag über die Theory of Constraints hörte ich den folgenden Einwand: „Sie sagen, Ursache und Wirkung ist eine Basis des System­verständnisses der TOC. Aber das ist doch Reduktionismus, lineares Denken, lässt sich auf komplexe Systeme nicht anwenden.“

Aber natürlich zeigen komplexe Systeme Ursachen und Wirkungen. Andernfalls könnten wir weder Aussagen über sie machen noch mit und in ihnen leben. Ursache und Wirkung ist selbst meist eine komplexe Beziehung, zum Beispiel wenn ich sage:

    „Wenn ich den Finger an die Nase lege, dann spüre ich die Berührung.“ oder
    „Wenn ich das gut erkläre, dann verstehen Sie, was ich sagen will.“

In beiden Fällen sind komplexe Sachverhalte als Ursache und Wirkung mitein­ander verbunden. Derartige Aussagen sind kein Reduktionismus, sondern einfach und praktisch. Sie sind ein Teil unseres Lebens als Menschen. Sicher sind Ursachen und Wirkungen nicht immer so direkt wie in diesen Beispielen. Sie können zeitverzögert sein, Rückkopplungen und Neben- oder Wechselwirkungen oder Schwelleneffekte usw. haben. Aber auch diese Umstände liegen im Bereich unserer Erfahrungen und Sprach- und Erkenntnismöglichkeiten.

Das erste Hindernis

Der Glaube, „alles ist komplex“ ist das erste Hindernis, das uns davon abhält, unser Leben in die eigenen Hände zu nehmen [1]. In den vielen Fällen im Leben, in denen uns die Zusammenhänge nicht gleich klar und so offensichtlich erschei­nen wie in den obigen Aussagen, hält uns dieser Glaube davon ab, den Dingen auf den Grund zu gehen. Um den Dingen auf den Grund zu gehen, müssen wir nicht bei Quarks, Atomen, Molekülen, Organellen … anfangen, sondern unsere Sinne, Sprache und Verstand benützen, mit denen wir in der Lage sind, auf „einfache“, praktische Weise komplexe Sachverhalte zu verstehen.

Auf den Schultern von Giganten

Wenn wir es mit komplexen Sachverhalten zu tun bekommen, bei denen wir an die Grenzen unserer Sinne, Sprache und verstandesmäßigen Fähigkeiten stossen, dann steht uns ein hilfreiches Repertoire wissenschaftlicher Einsichten, Methoden und Instrumente zur Verfügung, das über Generationen und Abergenerationen von Menschen entwickelt wurde, die alle an die „innere Einfachheit“ der Dinge geglaubt haben und das „erste Hindernis“ überwunden haben. Wir stehen auf den Schultern von Giganten [2]. Benützen wir diesen Umstand, um noch weiter zu sehen als sie! [3] Das ist heute dringend erforderlich.

Der Glaube, „alles ist komplex“ und „Ursache und Wirkung ist Reduktionismus“ ist gefährlich, besonders wenn er im Fortschrittsmäntelchen daher kommt. Er ist ebenso gefährlich wie der Reduktionismus, den er verdammt. Er ist eine Ausrede, um nicht nachdenken und nachforschen zu müssen, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass man etwas nicht weiss. Es ist sicher mühevoller, unser wissenschaft­liches Erbe zu verstehen und selbst neue Einsichten zu erarbeiten. Aber es lohnt sich und führt zu einem sinnvollen Leben.

[1]
Zu den vier Hindernissen siehe den Beitrag auf wandelweb.de: The Choice
[2]
Auf den Schultern von Giganten stehen” ist eine alte Aussage von Bernhard von Chartres um 1120, die durch Isaac Newton aufgegriffen und seither immer wieder verwendet wurde.
[3]
Eliyahu M. Goldratt hat uns einen Prozess nahegelegt, wie wir mit unserem vorhandenen Wissen umgehen. Siehe dazu den Beitrag auf wandelweb.de: Der vierte Pfeiler der TOC.

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