Transformation II

Paul.Bayer am 31. May 2009 um 09:30

Nach Eliyahu M. Goldratt gibt es drei wichtige Fragen für Veränderung:

  1. Was verändern?
  2. Wohin verändern?
  3. Wie die Veränderung bewirken?

Wenn wir also über tiefergehende Veränderung, Transformation oder Paradigmen­wechsel in unseren jetzigen Organisationen nachdenken, dann sollten wir diese drei Fragen stellen und diese drei Schritte durchlaufen.

Die Mängel des Taylorismus

Delavigne und Robertson helfen uns in „Deming’s Profound Changes“ [1] dabei, diese drei Fragen besser zu beantworten. Sie bezeichnen die aktuellen Manage­mentparadigmen als „Neotaylorismus“. Auch wenn wahrscheinlich nur sehr wenige Manager F.W. Taylors „Principles of Scientific Management“ gelesen haben, sind doch – wie wir gleich sehen werden – etliche von Taylors Prinzipien tief in ihren Praktiken und in ihrer Theory in Use verankert.

Delavigne und Robertson beschreiben die wichtigsten Mängel des modernen Taylorismus [2]. Stellen wir ihnen jeweils die neuen Paradigmen der lernenden Organisation gegenüber, wie sie von Peter Senge, Deming, Goldratt und anderen beschrieben wurden.

1. Glaube, dass Managementkontrolle die wichtigste Voraussetzung ist, um die Produktivität zu steigern:

(Neo-)Taylorismus lernende Organisation
  • dein Chef ist dein Kunde,
  • Fokus des Managements auf Kontrolle und Ergebnisse statt auf Verbesserung,
  • das Management berichtet immer mehr an Finanzleute wie Börsen­analysten, Banker und Controller,
  • Mitarbeiter müssen mit Hilfe von Anreiz und Strafen motiviert werden,
  • Planung ist vor allem Manage­mentaufgabe.
  • die Organisation und alle Prozesse orientieren sich am Endkunden,
  • Managementaufgabe ist nicht Kontrolle sondern vor allem Führung und Coaching, sowie Methoden und Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen,
  • die Menschen sind gut und wollen stolz auf ihre Arbeit sein,
  • Kontrolle ist vor allem statistische Kontrolle und Selbstregulation.

2. Glaube an die Möglichkeit optimaler Prozesse:

(Neo-)Taylorismus lernende Organisation
  • Systeme werden durch statische Gesetze bestimmt,
  • die inhärente Zufälligkeit in allen Prozessen wird nicht erkannt,
  • alle benötigten Informationen gelten als verfügbar,
  • wenn sich alle nur richtig anstren­gen, können optimale Ergebnisse erzielt werden,
  • Zertifizierung gilt als Garantie für Qualität,
  • andere werden imitiert, ohne zu verstehen, warum und wie sie ihre Ergebnisse erreichen,
  • Beurteilungs- und Rankingsysteme
  • man misst die Ergebnisse statt die dahinterliegenden Ursachen zu verstehen.
  • betont ständiges Lernen und Verbesserung,
  • die wichtigsten Informationen zur Verbesserung gelten als nicht erkennbar,
  • betont ständiges Hinterfragen der Ursachen für beobachtete Phänomene,
  • Teamarbeit und gemeinsame Ziele werden stärker betont als individuelle Beurteilung und Ranking,
  • der PDCA-Zyklus wird benutzt, um ständig zu lernen und um Variation zu verstehen und zu reduzieren.

3. Eine enge Sicht von Prozessverbesserung:

(Neo-)Taylorismus lernende Organisation
  • Buzzwords und Initiativen sind wichtiger als reale Prozessver­besserung,
  • Managementreorganisation ersetzt Prozessverbesserung,
  • Schwerpunkt auf Technologie und „goldenen Schüssen“ statt auf kontinuierlicher Verbesserung,
  • Betonung von Dokumenten,
  • es ist genug, die Spezifikation zu erfüllen,
  • Unfähigkeit aus der Vergangenheit zu lernen,
  • Trainieren von Fertigkeiten statt Fördern von Denk-, Analyse- und Lernfähigkeiten.
  • ein System ist das Zusammenspiel seiner Teile nicht die Summe der einzelnen Leistungen,
  • die größten Hebelwirkungen in der Verbesserung entstehen, wenn Systemprobleme (Engpässe, Konflikte …) gelöst werden,
  • Verbesserungsmöglichkeiten werden auf allen Ebenen der Organisation genutzt,
  • Initiativen der Mitarbeiter sind die wichtigste Ressource für Verbesserung,
  • Entwickeln und Vermehren von Wissen entwickelt die Leistungs­fähigkeit des Unternehmens

4. Suboptimierung statt ganzheitlicher Systemverbesserung:

(Neo-)Taylorismus lernende Organisation
  • Suboptimierung einer Komponente auf Kosten einer anderen,
  • unterschiedliche Ziele für verschie­dene Gruppen und Personen, sowie entsprechende Kennzahlen erhöhen die Komplexität durch internen Wettbewerb, Abgrenzungen und Doppelarbeit,
  • dass alle immer ausgelastet sein müssen (lokale Effizienzen), führt zur Überlastung, zu Multitasking und zu Engpässen, überflüssigen Projekten und Arbeitsschritten.
  • eine Organisation ist wie ein Symphonieorchester; wenn jede Systemkompenente ihre eigene Performance optimiert, wird das Gesamtsystem nicht gut funktionieren,
  • betont WIN-WIN-Lösungen,
  • Zufälligkeit und Komplexität in allen Prozessen machen das ganze System unsteuerbar,
  • deswegen werden elegante, ganzheitliche Lösungen betont,
  • Betonung von Fluss statt von ausgeglichenen und ausgelasteten Kapazitäten.

5. Erkennen nur einer Fehlerursache – Mitarbeiter:

(Neo-)Taylorismus lernende Organisation
  • Entlohnung mit Leistungsanreiz,
  • Manager begreifen ihre Aufgabe als Kontrolle,
  • willkürliche Ziele zur Fehler­reduzierung als ob die Mitarbeiter die Mittel hätten, sie zu erreichen,
  • Kultivierung einer Atmosphäre der Angst durch Ranking, Bestrafung und Androhungen.
  • sieht das System als Ursache der meisten Fehler,
  • Manager sind Mentoren für Mitarbeiter,
  • systematische Ursachenanalyse und Kontrolle der Fehlerquellen,
  • Unternehmenskultur auf Basis von gegenseitigem Respekt.

6. Trennung von Planung und Ausführung:

(Neo-)Taylorismus lernende Organisation
  • Manager beurteilen, ob die Ziele erreicht wurden,
  • Trennung von Arbeit und Lernen,
  • räumliche Trennung des Manage­ments von der ausführenden Arbeit führt zu abgehobenen Sicht- und Verhaltensweisen,
  • Management aufgrund abgehobe­ner Sichtweisen des Prozesses oder Systems (Powerpoint!) statt auf Basis der wirklichen Praxis der Mitarbeiter,
  • Verlass auf formelle Arbeitsbe­schreibungen, die von „Experten“ von ausserhalb des Prozesses erarbeitet wurden,
  • Makler für die Arbeit oder die Produkte anderer haben ein größeres Ansehen als die Produzenten.
  • sieht es als Aufgabe der Manager, ihre Prozess tief zu verstehen,
  • sieht es als Aufgabe der Manager, ihren Mitarbeitern zu helfen, ihr Wissen über Verbesserung von Produkten und Prozessen zu entwickeln,
  • die eigentlichen Experten für die Prozesse sind die Mitarbeiter selbst,
  • die Prozessdokumentation wird von den Mitarbeitern selbst erstellt und ist die Basis ständiger Verbesserung,
  • gemeinsames Aufstellen von Zielen und Beurteilung, ob sie erreicht wurden und Erarbeiten geeigneter Maßnahmen
  • Betonung der wertschöpfenden Arbeit und des Kundennutzens.

7. Unfähigkeit, Systeme und Gemeinschaften in der Organisation zu erkennen:

(Neo-)Taylorismus lernende Organisation
  • Arbeit wird individuell statt als Kollaboration gesehen,
  • besteht auf einer einheitlichen Unternehmenskultur und vernach­lässigt informelle Gemeinschaften in der Organisation,
  • persönlicher Einfluss und Status gilt als Motivation für Manager,
  • Entstehen von „Helden“ bei der Bewältigung von Krisen,
  • Politik zur Abgrenzung von Mitarbeitern und Abteilungen voneinander,
  • Verantwortungslosigkeit der Manager für das Wohlergehen der Mitarbeiter,
  • Lieferanten und Kunden werden als Außenseiter behandelt und mit Argwohn gesehen.
  • versucht das Gesamtsystem zu verbessern, einschließlich der Mitarbeiter, Lieferanten und Kunden,
  • betont die Zusammenarbeit in der Wertschöpfungskette, um den Kundennutzen zu erhöhen,
  • Aufgabe der Manager ist es, diese Zusammenarbeit zu ermöglichen und zu organisieren,
  • Aufgabe der Manager ist es, ihren Leuten zu helfen und ihnen Sicherheit und Freude an ihrer Arbeit zu ermöglichen,
  • Krisen werden gemeinsam bewältigt, man lernt aus Ihnen, um sie in Zukunft zu vermeiden.

8. Wahrnehmung der Mitarbeiter als austauschbare, bionische Maschinen:

(Neo-)Taylorismus lernende Organisation
  • erkennt nicht die starke Wirkung des Systems auf die Leistung von Mitarbeitern,
  • Leistungsbeurteilung, Ranking und Status,
  • stereotypische Reorganisationen auf Basis der Annahme, dass Mitarbeiter und besonders Manager austauschbar sind
  • arbeitet mit flachen Hierarchien und vermeidet Statussymbole,
  • fördert den Erwerb und die Entwicklung von Wissen und Kreativität,
  • versucht, die Mitarbeiter entspre­chend ihrer Stärken und ihres Wissens einzusetzen,
  • betont ständige Prozess- und Systemverbes­serung und Stabilität
  • vermeidet Reorganisationen als eine Quelle von Instabilität

Delavigne und Robertson kommentieren:

Jeder der Mängel des Taylorismus ist schwerwiegend und hat schwerwiegende Auswirkungen. Der kumulative Effekt aller dieser Mängel zusammen – oder irgendeine ihrer Kombinationen – wirkt zerstörerisch auf die Organisationen, deren Paradigma im Taylor-Modus gefangen ist. Mehr noch: in einer Art Anästhesie sind sich die meisten Organisationen der Wurzeln ihrer Managementphilosophie nicht bewusst, da die „wissenschaftliche Betriebsführung“ in den meisten Businessschulen und -journalen für tot erklärt wurde. [3]

Gleichwohl wird jeder Leser unschwer erkennen, dass viele der Mängel und falschen Annahmen des Taylorismus heute als „best Practice“ gelten, angewandt und gelehrt werden.

Auf der anderen Seite sind viele der Ansätze der „lernenden Organisation“ heute schon bekannt. Und es gibt viele Manager, die „gutes und richtiges Management“ (Malik) praktizieren. Aber wenige Organisationen haben die Transformation und den Paradigmen­wechsel wirklich und mehrheitlich vollzogen, um die kumulativen Effekte der Ansätze der lernenden Organisation zu nutzen. Die schlechten Praktiken des Taylorismus haben sich in den Organi­sationen und in vielen Köpfen festgesetzt und sind akzeptiert oder werden als „notwendiges Übel“ ertragen. Wenn sich die Manager nicht explizit damit auseinandersetzen und diese Praktiken verwerfen, besteht wenig Hoffnung, dass sie die Transformation schaffen und dass ihre Organisationen lange überleben.

Goldratts dritte Frage, wie die Veränderung bewirkt werden kann, möchte ich in den nächsten Beiträgen behandeln.

[1]
K. T. Delavigne, J. D. Robertson: Demings’s Profound Changes: When Will the Sleeping Giant Awaken?.– Prentice Hall, 1994
[2]
ders. S. 24 ff
[2]
ders. S. 35 f

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3 Kommentare zu “Transformation II”

  1. Ludwig

    Hallo Hr. Bayer. Ihre Blogposts sind manchmal kleine Essays, die ich immer wieder mit Vergnügen lese. Nicht dass ich alles verstehen würde, aber um Grenzen abzustecken und sie gleich zu verschieben sind sie super geeignet. Ich würde Ihnen, bei dem Aufwand den Sie sich mit dem Schreiben machen, wirklich mehr Kommentatoren und – ganz uneigennützig ;-) – mehr Diskussion wünschen.

    Grüße aus München, Ludwig

  2. Paul.Bayer

    Hallo Ludwig,

    meine Blogeinträge geben mir selbst und den Lesern von wandelweb die Möglichkeit, zu lernen. Die Idee ist, etwas zu veröffentlichen, das länger Bestand hat und über den Tag hinaus nützlich ist, so wie dieser Eintrag. Kommentare und Diskussionen entstehen so auch erst über die Zeit.

    Aber ja, ich freue mich auch über jeden Kommentar und jede Diskussion :-)

    Viele Grüße, Paul

  3. Sarah Kersting

    In allen möglichen Lebenssituationen anwendbar und großartig zu verstehen auch für Leute, die in dem Business nicht angesiedelt sind. Es macht Freude, ihre Blogeinträge zu lesen, Sie sind gesegnet!

    Viele Grüße
    Sarah

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