The Choice

Paul.Bayer am 11. October 2009 um 18:43

The Choice“ ist Goldratts bisher persönlichstes Buch. Darin beschreibt er seine grundlegenden Gedanken und Herangehensweisen, die Basis seiner Arbeit. Auf der anderen Seite erscheinen in dem Buch sein Charakter, seine Überzeugung, seine „bescheidene Arroganz“. Goldratt hat also ein weiteres Buch geschrieben, an dem man sich abarbeiten kann, voll ungewöhnlicher Sicht­weisen. Er gibt uns die Gelegenheit, die Welt mit seinen Augen zu sehen.

Das Buch sollte unsprünglich mit dem Titel „Inherent Simplicity“ erscheinen. Vielleicht wäre das auch ein besserer, faszinierenderer Titel gewesen, der Goldratts grundlegende Sicht besser ausdrückt. Der Titel „The Choice“ bezieht sich auf eine Zuspitzung am Anfang und Ende des Buchs (S. 1 und 158), in der Goldratt betont, dass jeder eine Entscheidung treffen muss, was er werden will und welche Richtung er einschlagen will. Goldratt schlägt als Weg vor, klar denken zu lernen. Das ist die Wahl, die zu treffen ist, um ein erfülltes Leben zu führen.

Das Buch ist als (sokratischer) Dialog zwischen Goldratt und seiner Tochter Efrat, einer Psychologin aufgebaut. Sie ist von seinen Ansätzen fasziniert und versucht hinter sein Geheimnis zu kommen. Also stellt sie ihm Fragen, um zu ergründen, wie man ein erfülltes Leben führen kann. Er antwortet meist nicht direkt, sondern gibt ihr verschiedene Berichte aus seiner Arbeit mit Unternehmen, meist Vertriebs­organisationen zu lesen. Also besteht das Buch aus drei miteinander verwobenen Bändern: a) dem Dialog zwischen Goldratt und seiner Tochter, b) Goldratts Fallstudien aus der Entwicklung und Umsetzung der TOC-Vertriebs­lösung und c) Efrats Gedanken auf Basis des Dialogs mit ihrem Vater und der Lektüre seiner Fallstudien.

Goldratts Ausführungen über die TOC-Vertriebslösung werde ich hier nicht kommentieren. Dazu werden wir in wenigen Monaten mehr von ihm mit seinem nächsten Buch hören. Stattdessen versuche ich, die in „The Choice“ dargelegten Gedankengänge zur Frage seiner Tochter zu rekonstruieren.

Innere Einfachheit

Die Arbeiten und Theorien Goldratts zeichnen sich durch ihre Einfachheit aus. Dass die Welt, auch die der Wirtschaft auf elementar einfachen Prinzipien aufbaut, davon ist er als Physiker zutiefst überzeugt und das ist eine Erfahrung, die er in seiner Arbeit immer wieder gemacht hat. „Einfach“ bedeutet aber nicht „leicht“: es ist nicht leicht, diese „innere Einfachheit“ aufzudecken, nicht in der Physik und nicht in der Wirtschaft, in der Arbeit mit Menschen und Organisationen. Aber wenn man sie aufdecken kann, dann werden große Potenziale frei, so etwa wie Newtons Entdeckungen eine ungeheure Entwicklung ausgelöst haben.

Goldratts tiefste Überzeugung ist also diese innere Einfachheit der Zusammen­hänge. Und er stellt sich damit natürlich gegen den Mainstream derer, die es vorziehen, von Komplexität zu sprechen und alles immer komplizierter und undurchschaubarer zu machen. Und er sieht sich selbst als Forscher mit der Aufgabe, diese innere Einfachheit der Wirtschaft aufzudecken, als eine Art Newton unserer Zeit.

Die vier Hindernisse

Wenn seine Arbeit aber so viele Leute fasziniert, ihm aber andererseits so wenige wirklich dabei folgen, dann muss das manifeste Gründe haben. Goldratt zählt vier Hindernisse auf, die in unserer Kultur stark verankert sind und die uns vom Sehen der inneren Einfachheit abhalten:

  1. Die Wahrnehmung, dass die Realität komplex ist, hält uns davon ab, die einfachen Zusammenhänge zu sehen.
  2. Unsere Tendenz, Konflikte als gegeben hinzunehmen lässt uns nach Kompromissen aber nicht nach Lösungen suchen.
  3. Unsere Tendenz, anderen Leuten bei Problemen Vorwürfe zu machen führt uns in falsche Richtungen, in denen wir keine Lösungen finden können.
  4. Unser Eindruck, dass wir etwas schon wissen, hält uns davon ab, unsere Intuition und unsere Geisteskraft zu benutzen.

… und ihre Überwindung

Goldratt betont, dass diese Hindernisse durch sorgfältiges Anfertigen von Ursache-Wirkungs-Diagrammen und durch viel Übung überwunden werden können, so dass man – wie er selbst – lernt, die inneren Zusammenhänge zu sehen. Er empfiehlt uns also den Übungsweg des „wirklichen Wissenschaftlers“, der schrittweise lernt, seine Methodik und sein Fachgebiet immer besser zu beherrschen. Mit dieser Empfehlung dürfte er in asiatischen Ländern viele Anhänger gewinnen.

Auf Basis der Einsicht in die innere Einfachheit formuliert er vier Erfahrungen, die uns helfen, die Hindernisse zu überwinden:

  1. In jeder Situation steckt eine innere Einfachheit.
  2. Konflikte beruhen auf falschen Annahmen. Werden diese aufgedeckt, kann der Konflikt gelöst werden.
  3. In den menschlichen Beziehungen gibt es immer etwas gemeinsames. Es gibt immer eine Win-Win-Lösung.
  4. Jede Situation kann enorm verbessert werden, wenn wir bereit sind, sie grundlegend zu hinterfragen.

Der Aufbau von Goldratts Argumentation folgt dem folgenden Diagramm (Voraussetzungsbaum) aus dem TOC-Denkprozess [1]:

Der Weg, um klar denken zu lernen

Eli Goldratt bringt uns also eine sehr optimistische und pragmatische Haltung nahe: wir können ein erfülltes Leben führen, etwas neues entdecken, deutliche Verbesserungen erreichen usw. Diese Möglichkeit gibt es allerdings nicht zum Nulltarif sondern nur durch harte Praxis. Deswegen müssen wir eine Wahl treffen.

Kritik

„The Choice“ ist ein lesenswertes Buch mit einer lebensfrohen Botschaft. Es behandelt die Grundlagen der Theory of Constraints. Es ist nicht leicht zu entschlüsseln. Aber jeder kann sich – mit etwas Mühe – daraus etwas entnehmen. Wenn es die Grundlagen des Goldrattschen Denkens behandelt, so zeigt es auch seine Grenzen und enthält noch viel Raum für Verbesserung. Ich möchte mich hier nur auf drei Punkte konzentrieren:

Goldratts Gegenüberstellung von Einfachheit und Komplexität ist etwas holzschnitt­artig. Wir können durchaus akzeptieren, dass Organisationen komplex sind – und das müssen wir meistens – und haben dann trotzdem einfache Möglichkeiten, sie zu beeinflussen und zu vereinfachen. Inhärente Einfachheit schließt Komplexität nicht aus. Newton hat entdeckt, dass unser komplexes Sonnensystem einfachen Regeln gehorcht.

Deming hat darauf hingewiesen, dass zu einer Anwendung der wissenschaft­lichen Methode auf Organisationen notwendig auch der Umgang mit Unsicherheit und Variation gehört. Nicht immer ist es in der Wirtschaft möglich, die Ursachen und Wirkungen zu analysieren wie es Goldratt vorschlägt. Wir müssen Entscheidungen fällen, auch wenn die maßgeblichen Einflüsse nicht klar sind. Also brauchen wir eine Methode zum Umgang mit Variation. Auch die weiteren Elemente des Demingschen Systems: Erkenntnistheorie und Psychologie fehlen weitgehend. Warum nehmen die Akteure in Organisationen was wie wahr und warum handeln sie dann soundso? Die Demingsche Philosophie zielt viel mehr auf das Gesamtsystem einer Organisation als die Goldrattsche, die mehr den Einzelnen im Auge hat. Allerdings kann zweifellos Goldratts Ansatz dabei helfen, dem Individuum Würde und Selbstwertgefühl zurückzugeben so wie von Deming gefordert.

Meines Erachtens gibt es ein weiteres großes Hindernis zum klaren Denken über Organisationen. Es ist vielleicht so einfach, dass wir es nur schwer sehen können. Unsere Alltagssprache ist zum Herausarbeiten von Ursache und Wirkung fundamental ungeeignet. So wie für Newton die Mathematik: Geometrie und Analysis der Schlüssel zum Verständnis des Sonnensystems war, so sind es Ursache-Wirkungs-Diagramme und weitere Werkzeuge für das Verstehen von Organisationen. An dieser Entwicklung formaler Sprachen und Methoden führt kein Weg vorbei.

[1]
Der Voraussetzungsbaum (im TOC-Jargon PRT: Prerequisite Tree) ist das vierte Werkzeug aus dem Denkprozess der Theory of Constraints. Seine Aufgabe ist es, die Hindernisse auf dem Weg zu einem Ziel und die Schritte zu ihrer Überwindung aufzuzeigen.

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Ein Kommentar zu “The Choice”

  1. Problemknoten » Beitrag » wandelweb.de

    [...] die Experten davon abhalten, eine Lösung zu finden, entsprechen denen, die Goldratt in „The Choice“ beschrieben hat. [5] vgl dazu die Beiträge: Management von Durchbrüchen und Management von [...]

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