Boeings Outsourcing-Hölle

Paul.Bayer am 11. December 2007 um 09:00

Ein gleichnamiger Artikel auf dem Evolving Excellence Blog berichtet über von den Schwierigkeiten bei Boeing, die 787 Dreamliner in die Produktion zu bringen [1]. Bei der 787 hat Boeing nicht nur viele Komponentenmontagen zu Zulieferern sondern auch relevante Teile des Designs weltweit fremdvergeben.

„Die 787 ist der erste Jet in Boeings 91-jähriger Geschichte, der zum Großteil bei anderen Unternehmen entwickelt wurde. Um die 10 Mrd. $ geschätzter Entwicklungskosten zu verringern, hat Boeing ein Team von Teilezulieferern ermächtigt, größere Teile des Flugzeugs zu entwickeln und zu bauen, die dann in seiner Fabrik bei Seattle zusammengesetzt werden sollten. Aber soviel Verantwortung fremd zu vergeben erwies sich als bei weitem schwieriger als vorhergesehen.“

Es entstanden eine Reihe Entwicklungsprobleme:

„Die Probleme bei den Zulieferern reichten von sprachlichen Barrieren bis zu Durcheinander wenn einige Vertragspartner selbst Teile der Arbeit fremd vergaben. Ein italienisches Unternehmen rang über Monate damit, eine Genehmigung für eine Fabrik für Rumpfteile neben einem alten Olivenhain zu bekommen. Boeing überschätzte die Fähigkeit der Zulieferer, Aufgaben zu bewältigen, die seine eigenen Entwickler und Ingenieure nach Jahrzehnten Erfahrung im Flugzeugbau fast intuitiv erledigen können. Projektleiter dachten, sie hätten genügend Überblick über die Zulieferer, mussten aber lernen, dass das Unternehmen unterhalb des Radars im Dunkeln über viele Details war.“

„Viele dieser handverlesenen Lieferanten vergaben ihre Entwicklungsaufgaben zu noch kleineren Unternehmen, anstatt ihre eigenen Ingenieure mit dieser Schlüsselaufgabe zu beauftragen. Einige dieser Sublieferanten übernahmen sich selbst mit Aufträgen von mehreren Boeing Zulieferern, sagt Boeing. Das Unternehmen sagt, es habe für seine Zulieferer nie vorgesehen, Schlüsselaufgaben wie Engineering fremd zu vergeben, sondern dass die Situation zunächst für sie bewältigbar schien. ‚Wir neigten dazu zu sagen: «Sie wissen selbst, wie sie ihre Arbeit erledigen»‘, sagt ein Boeing Topmanager, der mit dem Denken des Unternehmens vertraut ist.“

Die Fertigungsprobleme erwiesen sich ebenfalls größer als erwartet:

„Erst als erste Dreamliner im Juli enthüllt wurde, erfasste Boeing das Ausmaß seiner Schwierigkeiten. In einem Versuch, das Einführungsziel der 787 am 8.7.07 zu erreichen, wies Boeing seine Lieferanten an, teilweise fertiggestellte Abschnitte an seine Endmontage in Everett zu liefern. Boeing glaubte, dass das größte Problem des ersten Flugzeugs eine Knappheit spezieller Befestigungsschrauben und -muttern war, die benötigt werden, um es zusammenzusetzen. Die branchenweite Knappheit wurde für den Dreamliner erhöht, weil er dutzende von Befestigungselementen benötigt, die bei anderen Modellen nicht benützt werden.“

„Als die Mechaniker später die Kisten und Verschläge öffneten, die die Rumpfabschnitte begleiteten, fanden sie sie angefüllt mit tausenden von Klammern, Clips, Kabel und anderen Teilen, die schon montiert sein sollten. In einigen Fällen – sagen Firmenvertreter – kamen Komponenten ohne Dokumente oder mit Montageanweisungen in Italienisch, die erst übersetzt werden mussten.“

„Boeingvertreter dachten, sie könnten diese unerwartete Wendung in einigen Wochen aufholen. Aber sie mussten das Flugzeug aufbocken und Triebwerke und Schwanz entfernen, um an die Befestigungspunkte zu gelangen.“

Slowdown, Komplexität und Kontrollverlust

Interessant ist, dass Boeing seine Outsourcing-Schritte in Zusammenhang mit einem Verschlankungsprogramm unternommen hat. Aber de fakto wurden die Feedback- und Kontrollschleifen verlängert, zusätzliche Friktion entstand. Das modulare Konzept des Dreamliners wurde nicht zur Vereinfachung der Prozesse genutzt, sondern die Wertschöpfungskette wurde kompliziert. Es scheint, dass sich Boeing von den zentralen Punkten: Zeit-, Kosten und Qualitätsvorteile durch Vereinfachung, kürzere Feedbackschleifen, Handeln vor Ort, enge Zusammenarbeit … weiter entfernt hat:

  • Die Schwierigkeiten, über Sprachbarrieren und grosse Distanzen hinweg bei den Lieferanten rasch Entwicklungs- und gleichzeitig Produktions-Know-how aufzubauen, wurden unterschätzt.
  • Wenn zentrale Entwicklungsaufgaben weiter zu Sublieferanten vergeben werden, geht das gemeinsame Verständnis vom Entwicklungsauftrag leicht verloren. Dass Lieferanten zentrale Aufträge weiter vergeben haben, lässt darüber hinaus darauf schliessen, dass das gemeinsame Verständnis von Anfang an nur unzureichend gegeben war.
  • Durch global Sourcing entstehen Distanzen, die das Erfassen der Situation vor Ort und daher das Situationsverständnis beeinträchtigen. Das führt zu Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen.
  • Es wird schwieriger, Probleme schnell und nachhaltig zu lösen.

Das Boeing-Management muss durch mangelndes Fingerspitzengefühl und durch überstürztes Handeln eine teure Lektion lernen, die ihm noch den einen oder anderen Albtraum bereiten wird.

In einem Vortrag in Everett sagte Mike Bair, der frühere Projektleiter der 787, dass „es für Beings nächstes Flugzeugprogramm nach der 787 besser wäre, eine zentrale Fertigungsstätte zu haben statt der globalen Montagemethode, die für die 787 benützt wird. Er sagte, Boeing würde das nächste Mal seine Lieferanten dazu drängen, sich im selben Gebiet anzusiedeln“ [2].

Wir sollten die weitere Entwicklung gut beobachten, um selbst daraus zu lernen.

[1]
Anlass ist ein ausführlicher Artikel im Wallstreet Journal vom 7.12.07: Boeing Scrambles to Repair Problems With New Plane.
[2]
s. Mike Bair’s “remarkable” speech auf dem seattlepi.com Weblog.

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