Toyotas verlorener Fokus
Paul.Bayer am 17. December 2009 um 12:57Tom Johnson hat in der Qualityworld vom November 2009 einen interessanten Artikel veröffentlicht, in dem er Toyotas Schwierigkeiten in der Krise auf den Verlust des Fokus auf seine eigenen Basics zurückführt. Ich kann den wandelweb.de-Lesern diesen Artikel nur wärmstens empfehlen und möchte hier seine wichtigsten Argumente zitieren:
Toyotas finanzielles Absacken ist keine Aufforderung, Lean-Praktiken zu verstärken. Es ist eher das Ergebnis einer schnellen und übertriebenen globalen Expansion seit Mitte der 90-er Jahre, die von einem Top-Management vorangetrieben wurde, das einen neuen und beispiellosen Fokus auf das Erreichen finanzieller Gewinnziele setzte.
Es sind nicht die Lean-Praktiken, die Toyota vom Rest unterscheiden. Die Grundlage von Toyotas Erfolg – zu der Herr Toyoda das Unternehmen jetzt zurückbringen möchte – ist die charakteristische Art zu denken, die Toyota dazu brachte, seine Erfolgspraktiken zu entwickeln.
Verständlicherweise misinterpretieren Außenstehende das, was sie sehen, wenn sie Toyota studieren. Ihr Denken ist durch die Annahmen der überlieferten Weltsicht des 18-ten Jahrhunderts begrenzt, die immer noch die Haltung westlicher Ökonomen und Wirtschaftsführer dominiert. Diese Sicht sieht ein Unternehmen als eine Sammlung unabhängiger Teile wie Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, Subunternehmer, eingekaufter Ressourcen und Produkte zum Verkauf. In dieser Sicht können Veränderungen der operativen und finanziellen Ergebnisse durch Hinzufügen und Abziehen dieser Teile erreicht werden.
Das Unternehmen als System
Die Leute bei Toyota, besonders an den japanischen Standorten haben ihre Arbeit immer aus einer sehr unterschiedlichen Perspektive gesehen. Toyotas Praktiken zeigen, dass seine Manager finanzielle Ergebnisse nicht als eine lineare Addition von Ergebnissen mehrerer unterschiedlicher Bestandteile ansahen, sondern als Produkt eines Prozesses von Beziehungen untereinander verflochtener Teile.
Wenn also die Abläufe bei Toyota niedrige Kosten und wenig Verschwendung beinhalten, dann nicht weil Toyota unablässig versucht, Bestandteile zu entfernen. Der Grund ist dagegen, dass der konstante Fokus des Unternehmens auf Verbesserung der Beziehungen zwischen den Bestandteilen zu Eigenschaften wie direkten, kurzen Verbindungen und einfachen, eindeutigen Abläufen ohne Hilfskonstruktionen führt.
Kurz gefasst war die Managementkultur bei Toyota prozessgetrieben, nicht ergebnisgetrieben. Toyota vermied das absurde und unmögliche Verlangen der Finanzmärkte, Quartal für Quartal bessere Ergebnisse zu bringen. Es lehnte die Idee ab, die von Lean-Autoritäten vorgebracht wurde, dass ein Unternehmen seine Leistungsfähigkeit durch Wegnehmen von Teilen steigern könnte. Es nahm an, dass ein richtig orchestrierter Prozess Ergebnisse erzeugen würde, die die laufenden Aktivitäten der Organisation tragen konnte. Sein Weg zu besseren Ergebnissen reflektierte den viele Jahre zuvor gegebenen Rat Demings, die Prozessfähigkeit zu verbessern statt von den Leuten höhere Ziele zu verlangen.
Der Rückfall?
Die Umkehr von Toyotas Erfolg im letzten Jahrzehnt legt nahe, dass viele seiner Topmanager die Denkweise verloren haben, die vorher die Strategie und Handlungen des Unternehmens geprägt hatte. Sie verloren die Denkweise, die die Firma – vielleicht unbewusst – dazu brachte, wie ein lebendiges System zu funktionieren. Toyota übernahm das finanzorientierte mechanistische Denken, das die minderwertigen Managementpraktiken und die schlechte Performance seiner meisten Wettbewerber nach den 70-er Jahren erzeugt hat. Und weil es das Denken in lebendigen Systemen zugunsten des mechanistischen Denkens verlassen hat, begann Toyota eine virtuelle Welt der Finanzen anzunehmen, nicht eine konkrete von Menschen in kooperativen Beziehungen.
Zum Glück gibt es eine Chance, durch die Toyota sein vorheriges Denken in lebendigen Systemen wieder annehmen kann. Aber die widrigen Folgen von Toyotas unangebrachtem Fokus gehen weit über den finanziellen Einbruch der letzten zwei Jahre hinaus. Er brachte Toyota von seinem Weg zur Nachhaltigkeit ab, dem es näher war als irgend ein anderes Großunternehmen unserer Zeit.
Über Toyotas Denken zu urteilen ist schwierig. Aber trotzdem hat Tom Johnson hier zum Ausdruck gebracht, was viele von Toyotas Bewunderern befürchten [1]. In der letzten Zeit gab es mehrere Ereignisse, die solche Einschätzungen unterstützen. Die nächsten Züge Toyotas werden zeigen, ob es seine Chance nutzt und wieweit diese Befürchtungen berechtigt sind. Wahrscheinlich werden wir erst in einigen Jahren sehen, ob es Toyota gelingt, sein Denken und damit seinen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung wiederherzustellen.
am 18. December 2009 um 16:49 Uhr.
Hallo Herr Bayer,
vielen Dank für den Hinweis auf diesen Artikel. In der Tat gibt es viele Zweifler und sie werden nicht weniger. So höre ich hin und wieder Sachen wie “…na so toll kann Toyota nun auch nicht sein…..in der Formel 1 haben sie nichts geschafft und nun auch aufgegeben….”
Allerdings denke ich, hier sind wirklich Leute unterwegs, die den Kern der Denkweise nicht erfasst haben oder nicht erfassen wollen, sondern tatsächlich in Profitdenken verhaftet sind. Selbstverständlich muss jedes Unternehmen Profite erwirtschaften – auch Toyota – allerdings zeigt auch und gerade die Situation der Wirtschaft, dass eben zu sehr an/in Profit gedacht wird und eine mittel- oder langfristige Strategie vergessen wird.
Die Frage, die sich erhebt, ob und wie man solche Zeitgenossen, die leider ja auch oft eben die Entscheider sind einfängt und einfangen kann.
Herzlich Grüße
Christian Evertsbusch
am 18. December 2009 um 19:43 Uhr.
Hallo Herr Evertsbusch,
in der Politik gibt es das demokratische System, das extra zu diesem Zweck geschaffen wurde. Sie sehen ja, wie schwer wir uns auch damit tun. In den Unternehmen gibt es kaum entsprechende Mechanismen. Die Aufsichtsorgane, die Arbeitnehmervertretung, die Öffentlichkeit haben die Fehlentwicklungen nicht korrigiert.
Dass mehrere zunächst exzellente japanische Großunternehmen im letzten Jahrzehnt auf westliches Management eingeschwenkt sind, zeigt mehrere weitere Probleme:
1) Die Unternehmen sind zu groß und zu komplex geworden. Die Topmanagement-Ebenen sind sehr weit vom Gemba entfernt und sind deshalb anfällig für Management by Numbers …
2) Die Ziele, die sich die Unternehmen setzen, werden stark von den Trends und Hypes an den Märkten und Finanzmärkten mitbestimmt. Insgesamt ist die Finanzwirtschaft zu stark gegenüber der Realwirtschaft geworden.
3) Es gibt ein Problem mit dem Generationswechsel: Die Gründer- und Nachkriegsgeneration konnte ihre Werte (Sparsamkeit, Nachhaltigkeit, Lebensfähigkeit …) wohl noch an ihre direkten Nachfolger nachgeben. Aber in der dritten Generation geraten diese Grundlagen in Vergessenheit.
Das sind drei große Entwicklungen, die nicht leicht korrigiert werden können. Wir müssen lernen, damit besser und neu umzugehen. Was könnten Korrekturmechanismen, neue Ziele, Paradigmen sein? Denken die Eliten nach dem Finanzdebakel überhaupt darüber nach.
Ich traue Toyota hier gewisse Korrekturen zu. Darauf bin ich gespannt.
Herzliche Grüße,
Paul Bayer
am 20. December 2009 um 19:54 Uhr.
Hallo Paul,
ehrlich gesagt nervt es mich ein bisschen. Wie aussagefähig sind denn bitte 2 “schlechte” Jahre in denen andere quasi total aussterben? 2 Jahre sind in der auf Jahrhunderte ausgelegten Toyota Strategie nicht einmal messbar.
Toyota war über Jahrzehnte enorm erfolgreich und gerade die Expansionsstrategie hat Toyota über ein Jahrzehnt enorme Gewinne eingebracht. Warum soll das jetzt auf einmal alles falsch gewesen sein?
Natürlich werden jetzt viele Probleme auf diesen Wachtsumskurs geschoben. Hinterher ist jeder gescheiter. Das ist keine Kunst. Welche katastrophalen Strategien haben denn die Wettbewerber in den letzten Jahren entwickelt?
Wie Du schon sagst, Toyota wird korrigieren und ich bin mir sicher besser als die meisten anderen.
Lieber Gruß
Dirk
am 20. December 2009 um 21:45 Uhr.
Hallo Dirk,
Johnson bezieht sich im Aufmacher hauptsächlich auf die finanzielle Situation. Das ist wahr. Aber das Problem ist größer. Die breiteste, mir bekannte Faktensammlung dazu hat Bob Emiliani im zitierten Artikel vom September 2009 in Superfactory gegeben. Ich glaube auch nicht, dass Toyotas „Strategie 2010“ des Jahres 2002 ohne Erfolg war. Aber ziemlich sicher haben Okuda, Cho und Watanabe die von Emiliani aufgelisteten negativen Seiteneffekte dieser Strategie nicht abgesehen.
Wie gesagt, jetzt korrigieren sie, aber wenn Johnsons Auffassung stimmt, dass das Denken Toyotas betroffen ist, dann wird die Korrektur möglicherweise schwer fallen. Ich glaube, das Stichwort ist „Fokus“. Auf was werden sie jetzt fokussieren?
Herzliche Grüße,
Paul
am 22. December 2009 um 19:22 Uhr.
Hallo Paul,
hallo Dirk,
“Auf was werden sie jetzt fokussieren?”
Johnson sieht Unternehmen als “lebende Organismen” und in diesem Sinne wird Toyota lernen. Ganz so, wenn wir mit dem Auto immer schneller über die Landstraßen rauschen, bis wir irgendwann aus der Kurve getragen werden. Und dann lernen, was passiert ist und wie es dazu kam.
Die Erfolge der Vergangenheit und die Profite von Toyota haben den “See der Bestände” bis zum Rand gefüllt. Die wahren Probleme waren überdeckt und sind erst in der Krise offenbart worden.
…und Toyota wird daraus lernen;-)
am 24. December 2009 um 08:44 Uhr.
Hallo Ralf,
das Toyota-Management braucht jetzt Hansei, eine tiefe Reflektion über die Situation. Deswegen hören wir zur Zeit wenig. Bin auch gespannt, was dabei herauskommt.
Viele Grüße,
Paul