Theorie Y und Lean Management
Paul.Bayer am 15. January 2008 um 09:001960 hat der MIT-Professor Douglas McGregor sein Buch: „The Human Side of Enterprise“ veröffentlicht. Es wurde in japanischen Management Studiengruppen sehr aufmerksam gelesen und diskutiert und hat den Managementstil in der schlanken Produktion entscheidend beeinflusst.
McGregor argumentierte, dass zwei unterschiedliche Mitarbeiterbilder und Annahmen über die Verhaltensweisen und Einstellung der Mitarbeiter das Denken und Verhalten der Manager beeinflussen. Er nannte diese zwei unterschiedlichen Bilder Theorie X und Theorie Y:
Theorie X | Theorie Y |
Der durchschnittliche Mitarbeiter ist faul, lehnt die Arbeit ab und versucht so wenig wie möglich zu tun. | Mitarbeiter sind an sich nicht faul. Wenn sie die Chance haben, tun sie das, was für die Organisation gut ist. |
Um sicherzustellen, dass die Mitarbeiter hart arbeiten, müssen die Manager sie eng überwachen, | Um den Mitarbeitern zu erlauben, im Interesse der Organisation zu arbeiten, müssen die Manager ein Arbeitsumfeld schaffen, das den Mitarbeitern Gelegenheit bietet, initiativ zu werden und selbständig zu handeln. |
Die Manager müssen strenge Arbeitsregeln aufstellen und ein genau festgelegtes System von Belohnungen und Sanktionen einrichten, um die Mitarbeiter zu kontrollieren. | Die Manager müssen Autorität abgeben und dafür sorgen, dass die Mitarbeiter die nötigen Ressourcen haben, um die Organisationsziele zu erreichen. |
Der entscheidende Punkt ist, dass sowohl Theorie X wie auch Y zu positiven Rückkopplungen führen, die die jeweilige Theorie bestätigen und verstärken [1].
Die negative Einstellung des Managements zu den Mitarbeitern in Form der Theorie X führt zu Aktionen, Reaktionen und Verhaltensweisen, die diese Einstellung bestätigen. Aber ebenso führen die gesteigerten Handlungsspielräume der Mitarbeiter durch die Theorie Y zu ihrer Bestätigung und Verstärkung:
Die Schwierigkeit besteht darin, von Theorie X zu Theorie Y zu kommen. Das erfolgt eine tiefgreifende Veränderung im Denken und Handeln.
Theorie Z
Es ist klar, dass schlanke Produktion und stetige Verbesserung durch die Einbindung aller Mitarbeiter eher einen Managementstil à la Theorie Y erfordert. Theorie Y hat deswegen in Japan größere Bekanntheit und Verbreitung gefunden als in den USA und Europa [2]. Die japanischen Manager und Leser von McGregors Arbeit haben angefangen, Theorie Y umzusetzen und stellten dabei fest, dass sie durch entsprechende Selbstreflektion (Hansei) und durch konsequentes Vorgehen sehr wohl den Teufelskreis von Theorie X durchbrechen und ihre Organisationen zur Theorie Y weiterentwickeln konnten.
Dabei haben sie eine Synthese aus Theorie X und Y geschaffen, die von Ouchi als „Theorie Z“ bezeichnet wurde. Management nach der Theorie Z befriedigt alle Schichten der Maslowschen Bedürfnispyramide und sorgt für Kontrolle und Selbständigkeit (=Selbstkontrolle) der Mitarbeiter. Das sind die Eckpunkte:
- dauerhafte Beschäftigung,
- gemeinsame Verantwortung,
- implizite, informelle Kontrolle mit expliziten formellen Messgrößen,
- gemeinsame Entscheidungsfindung,
- langsame Bewertung und Beförderung,
- wenig spezialisierte Laufbahnen,
- Sorge für die gesamte Person, einschließlich ihrer Familie.
am 16. January 2008 um 09:01 Uhr.
Die Z-Theorie scheint mir im Neo-Kapitalismus obsolet geworden zu sein. Gehörten bisher dauerhafte Beschäftigung, stetige Beförderung, ja sogar die Sorge für die “gesamte Person” zu den “Verpflichtungen” eines Unternehmens, stehen jetzt Kurzfristigkeit, Verflachung der Hierarchie-Ebenen, die Variabilität im Einsatz der Mitarbeiter und damit einhergehend die Reduzierung der Autorität des Einzelnen im Vordergrund.
Der Einzelne solle nun wie ein Unternehmen agieren. Das resultiert nicht nur im Verlust der sozialen Kontakte unter den Mitarbeitern, weil nach dem Prinzip “The winner takes it all” gedacht und gehandelt wird, sondern auch in der Aufgabe der Loyalität den Kollegen und dem Unternehmen gegenüber.
[siehe hierzu Richard Senetts Buch "Die Kultur des neuen Kapitalismus"]
Wie sehen Sie das Herr Bayer? Gruss Joachim Zischke
am 16. January 2008 um 17:02 Uhr.
Hallo Herr Zischke,
zum Glück hat sich das kurzfristige und kurzsichtige Denken und Handeln von Hire and Fire nicht bei allen Unternehmen durchgesetzt. Ich denke, dass diejenigen Unternehmen, die stabil hohe Werte für die Kunden produzieren wollen auch auf diese Welle nicht aufspringen werden.
Was Sie aber sagen: Verflachung der Hierarchien, mehr Verantwortung des Einzelnen, häufigere Veränderung steht aber nicht im Widerspruch zur Theorie Z. Im Gegenteil: Theorie Z bietet eine Grundstabilität (in den Basisschichten der Maslowschen Bedürfnispyramide), die es ermöglicht mehr Engagement und Initiative in den oberen Ebenen zu entwickeln. Theorie Z sagt uns auch, wenn die soziale Situation prekär wird, werden die Mitarbeiter keine Initiative für anhaltende Innovation und Verbesserung entwickeln. (Leider kenne ich Sennets Buch nicht.)
Auch das Agieren des Einzelnen als Unternehmer hat mehrere Seiten. Der Einzelne soll kundenorientiert handeln (der nächste Arbeitsschritt ist der Kunde) aber gleichzeitig sind die Mitarbeiter in dem Sinne keine Unternehmer, da sie zusammen und nicht gegeneinander arbeiten. Die Konkurrenz steht also nicht im Vordergrund, sondern der Kundennutzen. In diesem Sinne ist durchaus Unternehmergeist gefragt: Wie kann ich meine Arbeit, mein Produkt verbessern?
Ich glaube also nicht, dass die Theorie Z obsolet ist. Sie haben aber recht, wir müssen aufpassen, dass sie nicht dem kurzfristigen Denken geopfert wird. Wir müssen die Zusammenhänge klar machen.
Viele Grüsse, Paul Bayer
am 17. January 2008 um 21:35 Uhr.
Hallo Herr Zischke,
seit einiger Zeit leite ich Organisationen bzw. ein Werk in Ungarn. Gerade hier zeigt sich mir, dass die “Hire and fire” Mentalität nur scheinbar kurzfristig Erfolge bringt. Die Fluktuation in den mittel/östlichen Ländern Europas ist verhältnismäßig hoch, da gerade die direkten Mitarbeiter sich noch am unteren Ende der Maslowschen Pyramide befinden und jedes Forint (die Ungarische Währung) mehr gut gebrauche können. Das Unternehmen verliert hierdurch jedoch massiv an Know How und Kontinuität. Meine Kollegen in Polen, Tschechien und Rumänien und ich versuchen gerade diverse Möglichkeiten Mitarbeiter zu binden, was zwangsläufig ein beiderseitiges Vertrauensverhältnis voraussetzt, da die Bindung nur statt findet, wenn der Mitarbeiter das Gefühl hat, dass er sich nicht verkauft, sondern langfristig geschätzt wird. Eines der Mittel über die wir nachdenken und Wege suchen ist: Sorge zu tragen für die Person und deren Familie.
Zur Bindung der Mitarbeiter ist aber auch Kreativität gefragt, da eine Unternehmung im Mittel-/Osteuropa sich überlebt, wenn die Lohnkosten zu hoch werden.
Gruß
Gerhard Fischbach
am 20. January 2008 um 14:35 Uhr.
Liebe Herrn Bayer und Fischbach,
willkommen zum Triolog …
Ich stehe ganz auf Ihrer Seite – das, was Sie beschreiben ist das, was wir als moderne soziale “Errungenschaft” bezeichnen würden. Für inhabergeführte und mittelständische Unternehmen in einer Grössenordnung bis zu 2000 Mitarbeitern, mag die An- und Hinwendung zur beschriebenen Z-Theorie (noch) funktionieren.
In grösseren Unternehmen und Konzernen wirkt sich m.E. der Neo-Kapitalismus schon sehr deutlich aus. Hier stehen nicht einmal mehr die Kunden im Interesse des Unternehmens, sondern ausschliesslich das Unternehmen selbst. Sagte nicht ein Mercedes-Chef einmal “Wir wissen, was gut für unsere Kunden ist”?
Die Mitarbeiter werden, wie am Beispiel von Wal-Mart deutlich zu beobachten ist, als “Mitarbeiter auf Zeit” betrachtet; es besteht für eine Mitarbeiterbindung überhaupt keine Notwendigkeit mehr für das Unternehmen. Es gibt dort gar keine “Verkäufer” mehr, die den Kunden beraten könnten. Die Kunden kommen, weil die Werbung, das Warenangebot und die Preise sie in die Häuser treibt.
Ein Beispiel aus unserem Land: Auch ich hatte, wie hundertausende Anderer, letztes Jahr erhebliche Probleme mit der Deutschen Telekom. Eine Mitarbeiterin im CallCenter war schon nervlich am Ende und klagte mir ganz spontan ihr Leid. “Wir werden behandelt wir der letzte Dreck. Ständig hin und her geschoben. Wir wissen heute nicht, was morgen mit uns sein wird. Keiner kann sich auf irgend etwas verlassen, nicht mal mehr auf die Kollegen nebenan.” Die Zustände sind m.E. nicht auf ein chaotisches Management zurück zu führen, sondern dahinter steht eine bewusste Destabilisierung und Verunsicherung der Mitarbeiter, um sie für weitaus unangenehmere Entscheidungen “fit” zu machen; Schock-Kapitalismus nennt es Naomi Klein in ihrem jüngsten Buch.
Mitarbeiter haben sich einfach der Flexibilisierung der Aufgaben anzupassen. Wer in unterschiedlichen Projekten mit unterschiedlichen Kollegen in ständig wechselnden Teams schnell und reibungslos zurecht kommt, hat Chancen, bevorzugt behandelt zu werden. Doch selbst der, der sich darauf einrichtet, kann über Nacht zum Verlierer werde.
Die Frage “Wie kann ich meine Arbeit, mein Produkt verbessern?” stellt sich im Neo-Kapitalismus nicht mehr, da die Grundlagen entfallen sind. Nicht mehr Loyalität dem Kollegen oder dem Unternehmen gegenüber zählt, sondern eine Effizienz, wie sie das Unternehmen vorgibt. Das Unternehmen hält nicht mehr an Mitarbeitern fest; bestes Beispiel Nokia. Die Karrikatur von Haitzinger in den Tageszeitungen vor ein paar Tagen trifft es exakt: Die Heuschrecke frisst die am Subventionsbaum die grünen Blätter kahl und fliegt weiter: “Der Standort ist nicht mehr rentabel.”
Daher schrieb ich, dass die Theori Z im globalen Kapitalismus dieser neuen Qualität obsolet geworden ist.
Sonntägliche Grüsse, Joachim Zischke
am 20. January 2008 um 21:22 Uhr.
Hallo Herr Zischke,
das Paradox ist doch, dass dieselben Manager und Companies, die dem „Neo-Kapitalismus“ frönen, auf der anderen Seite schlanke Produktion und Prozessverbesserung entwickeln wollen.
Nur, so erreichen sie das nicht, sondern sie manövrieren sich, uns in eine Abwärtsspirale. Auf diese Weise geraten auch andere Unternehmen unter Druck und es wird spannend sein, zu sehen, ob sie alle ihre bisherige Personalpolitik mir nichts, dir nichts über Bord werfen – auch dafür gibt es Beispiele.
Um so wichtiger ist es, die Zusammenhänge herauszustellen und aufzuzeigen, wohin dieser Weg führt und vor allem: zu zeigen, wie es anders geht. In diesem Sinne ist Theorie Z nicht obsolet, sie ist aber – da gebe ich ihnen unumwunden recht – momentan stark unter Beschuss.
Vor einigen Jahren habe ich eine Aussage eines Soziologen gehört: Pierre Bourdieu, der sagte, dass die Zivilisation ein kostbares Gut ist und immer wieder aufs neue verteidigt und weiterentwickelt werden muss. Er sagte, es wäre gefährlich zu glauben, sie wäre etwas gegebenes, fixes. Deswegen dieser Beitrag und deswegen die spannende Diskussion, die er auslöst.
Viele Grüsse,
Paul Bayer
am 20. January 2008 um 22:56 Uhr.
Noch weitere Gedanken:
Herrn Fischbachs Beitrag läuft darauf hinaus, dass die Unternehmenspraxis in weniger entwickelten Ländern den „entwickelten“ Ländern zeigt, dass sie ihre bisherigen Werte nicht leichtfertig über Bord werfen sollen. Die Deming-Preis-Gewinner der letzten Jahre sind z.B. überwiegend indische Unternehmen. Adaptieren jetzt die Inder Theorie Z bevor wir dazu in der Lage sind?
William Ouchis Buch über die Theorie Z war eine Warnung an das amerikanische Management, die japanischen Ansätze ernst zu nehmen. Umgekehrt heißt das, dass Theorie Z in den USA (und in Europa) nie fest verankert war. Man sieht ja – da hat Herr Zischke recht –, dass sie recht wenig Befürworter findet.
Der „Schock-Kapitalismus“ läuft doch auf Theorie X hinaus (siehe oben).
Viele Grüsse,
Paul Bayer
am 21. January 2008 um 10:37 Uhr.
[...] dass die Zivilisation ein kostbares Gut ist und immer wieder aufs neue verteidigt und weiterentwickelt werden muss.
In diesem Zusammenhang spreche ich lieber von einer “Kultur”. Auch wenn der Kapitalismus derzeit barbarische Züge anzunehmen scheint, die “Zivilisation” als Bezeichnung einer Lebensform haben wir erreicht, und ich glaube nicht, dass wir in die Barberei zurückfallen werden.
Kultur ist etwas, was das Zusammenleben der Menschen auszeichnet, wie sie miteinander umgehen, sich umeinander sorgen, wie sie kommunzieren, handeln, sich ihrer Aufgaben widmen, Geschäfte regeln, …
Kultur ist einem steten Wandel (daher ja auch Wandelweb …) unterworfen und ist nichts Statisches. Da bin ich mit Pierre Bourdieu d’accord.
am 21. January 2008 um 21:18 Uhr.
Leider haben wir uns in der Diskussion etwas verstiegen, weil ich nicht präzise argumentiert habe. Tut mir leid.
Erstens: die von ihnen angeführten Tendenzen halte ich bezogen auf schlankes Produzieren für einen Rückschritt, weil sie Mitarbeiter in eine prekäre Situation bringen, sie als Menschen nicht ernst nehmen und dadurch die Voraussetzungen für Beteiligung, kontinuierliche Verbesserung und für industriellen Wandel eher verschlechtern.
Zweitens: ist es notwendig, die sozialen Voraussetzungen für kostengünstiges Produzieren mit einem hohen Qualitäts-, Innovations- und Verbesserungsniveau zu erklären. Das ist ein Punkt, der oft vernachlässigt wird.
Drittens: eine Theorie ist eine Theorie, ist eine Theorie … Selbst eine gute Theorie deckt sich oft nicht mit der Praxis. Sie muss erst als gut erkannt und in die Praxis umgesetzt werden. Dazu möchte ich sagen, dass die Theorien Y und Z weithin nicht bekannt und verstanden sind. Solange das nicht der Fall ist, droht immer die Gefahr eines Rückfalls in Theorie X (Taylorismus, Hire+Fire usw.). Hier ist also Überzeugungsarbeit notwendig. Mir ist auch klar, dass die Reichweite von Argumenten und Dialog hier begrenzt ist.
am 24. January 2008 um 20:48 Uhr.
Hallo Herr Bayer und Herr Zischke,
nach ein paar Tagen Abstinenz melde ich mich zurück.
Während meiner Berufsjahre habe ich in Aktiengesellschaften und Unternehmen in Privatbesitz (> 2000 MA) gearbeitet. Ferner waren es immer Produktionsunternehmen und nicht Handels- oder Dienstleistungsgesellschaften, wie WalMart oder die Telekom (ob dies eine Auswirkung hat kann ich nicht beurteilen). Die langfristig erfolgeichen Unternehmungen waren meist in kleine Einheiten (maximal 700 Mitarbeiter) aufgeteilt und dezentral organisiert (jedoch auch kein Garant für Erfolg), so dass man Strukturen wie in einem inhabergeführten Unternehmen vorfinden konnte. Hier war die Tendenz zur Y-Theorie immer zu spüren, wobei die Wirschaftlichkeit nie aus den Augen gelassen wurde und durfte.
Dies denke ich ist auch der Punkt, bei dem sich die erfolgreiche Umsetzung von der nicht erfolgreichen der Y-Theorie unterscheidet. Eine Firma, die der Y-Theorie “folgt” benötigt auch Mitarbeiter, die verstehen, dass es das Unternehmen eigentlich nur zu einem Hauptgrund gibt: Gewinn erzielen! Umsetzung der Y-Theorie zum Selbstzweck ist fatal. Die Y-Theorie benötigt eine Beziehung (Vertrauen?!) zwischen Unternehmen und Mitarbeitern, so dass beide “Seiten” einen Gewinn erzielen.
Gruß
Gerhard Fischbach